Bad Monkeys
führte mich zu Silverman’s , einem Delikatessenladen. Im Schaufenster behauptete ein Schild wegen trauerfalls geschlossen, aber als sie an die Tür kam, ging sie auf.
Bob True saß an einem Tisch vor der Fleischtheke. Die Stadtstreicherin rauschte an ihm vorbei und drückte in der hintersten Ecke des Ladens das Gesicht gegen die Wand. True ließ ihr einen Augenblick Zeit und rief dann sanft: »Annie. Wir brauchen Sie hier und jetzt.«
Sie richtete sich auf und kam aus ihrer Ecke raus. Der Irrsinn in ihren Augen hatte sich etwas gelegt, ganz verschwunden war er aber nicht, und als sie mir die Hand reichte, musste ich mich zwingen, sie zu nehmen.
»Annie Charles«, stellte sie sich vor.
»Hi«, sagte ich. »Ich bin die letzte Schwester Bronté .«
»Fangen wir an«, sagte True mit einer einladenden Geste. Ich setzte mich zu ihm an den Tisch. Es gab auch einen dritten Stuhl, aber anstatt sich zu setzen, blieb Annie dahinter stehen, rang die Hände und stieß leise Wimmerlaute aus.
»Ihr Bewährungsauftrag«, sagte True. Er reichte mir ein Schulheft mit schwarz-weiß gesprenkeltem Umschlag; in dem »Ich-gehöre«-Kästchen stand mit Wachsmalkreide der Name arlo dexter geschrieben. Ich nahm an, das wäre eine offizielle Akte, wie die Broschüren zu Deeds und Loomis .
Das Heft war voll mit Wachsmalstiftzeichnungen. Seite eins zeigte einen stirnrunzelnden Strichmännchenjungen – arlo , wie die Bildunterschrift verriet – in kurzärmligem Hemd und kurzer schwarzer Hose.
Auf Seite zwei stand Arlo auf einem Stuhl vor einer Werkbank und führte, mit vor Konzentration rausgestreckter Zunge, an einem Teddybären einen chirurgischen Eingriff vor. Auf Seite drei ging Arlo , den Teddybären vor sich her tragend, irgendwohin. Auf Seite vier hatte er den Teddybären auf den Boden gesetzt und sich entfernt; von der anderen Seite näherte sich ein zweiter Strichmännchenjunge : roger olsen . Auf Seite fünf hob Roger den Teddybären auf, und Arlo hielt sich die Ohren zu. Auf Seite sechs verschwand der Teddybär in einer Comicstrip-Explosion. Auf Seite sieben stand Roger, mit rußgeschwärztem Gesicht und qualmendem Kopf, weinend da; Arlo , der die Szene von seinem Versteck aus beobachtete, lächelte.
Auf Seite acht war Arlo wieder allein und unglücklich.
Die gleiche Bilderfolge wiederholte sich, mit geringfügigen Änderungen, immer wieder. Jede Explosion war ein bisschen heftiger als die voraufgegangene. Ein Junge namens Gregg Faulkner, der eine präparierte Packung Frühstücksflocken aufhob, verlor nicht nur seine Haare, auch eins seiner Augen war ausgeixt. Eine Jody Conrad verlor beide Augen und ein Junge namens Tariq Williams eine Hand. In der grausigsten Szene von allen spritzte einem Jungen mit Namen Harold Rodriguez so viel Blut aus den Armstümpfen, dass Arlo einen Regenschirm aufspannen musste.
Ich sah True an. »Wissen Sie, mir ist ja bekannt, dass ihr Typen zwangsneurotische Geheimniskrämer seid, aber das ist schon mehr als geschmacklos …«
»Was Sie da in der Hand halten, ist kein interner Bericht der Organisation«, erklärte er mir. »Das ist ein Faksimile eines Heftes, das bei Durchsuchung von Arlo Dexters Wohnung aufgefunden wurde.«
»Das hat er selbst gezeichnet? Wie alt ist er denn?«
»Zweiunddreißig. Wohlgemerkt, das ist sein kalendarisches Alter. Was sein Selbstbild anbelangt –«
»Wen schert’s ?«, unterbrach ich ihn. »Wann töte ich ihn?«
»Bald. Aber es gibt ein paar Fragen, die wir nach Möglichkeit vorher beantwortet haben möchten. Blättern Sie weiter.«
Auf der Seite nach dem Harold-Rodriguez-Blutbad stand Arlo wieder im Mittelpunkt, aber diesmal leisteten ihm drei weitere Strichgestalten Gesellschaft. Keine Menschen. Affen. Zwei von ihnen rahmten ihn wie Bücherstützen ein und flüsterten ihm in Stereo irgendwas zu; der dritte Affe stand ein bisschen abseits, einen schwarzen Aktenkoffer in der Hand.
Auf der nächsten Seite lag der Aktenkoffer offen auf dem Boden, und Arlo kniete mit gefalteten Händen daneben und bildete mit dem Mund ein O vollkommener Glückseligkeit. Die Affen standen hinter ihm zusammengedrängt und schienen sich über seine Reaktion zu freuen. Was den Aktenkoffer anging, zeigte die Zeichnung zwar nicht, was er enthielt, aber was es auch sein mochte, es pumpte gelbe und orangefarbene Lichtstrahlen in die Luft, und in Anbetracht von Arlos Lieblingsbeschäftigung war es nicht schwierig, sich ein paar Möglichkeiten auszudenken.
»Wissen wir, wer diese
Weitere Kostenlose Bücher