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Bärenmädchen (German Edition)

Bärenmädchen (German Edition)

Titel: Bärenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Berlin
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bewachsenen Gruppe von Birken hervor und steuerte auf das Mädchen zu. Das Tier war gewaltig. Groß wie ein Pony und sicherlich doppelt so massig, und es nahm jetzt erschreckend schnell Tempo auf.
    Fast im gleichen Augenblick raste auch Adrian los. Um freies Schussfeld zu bekommen, musste er viel näher heran. Im Laufen riss er sich das umgehängte Gewehr von der Schulter, sprang über umgestürzte Baumstämme und achtete nicht auf die Zweige, die ihm ins Gesicht schlugen. Er wusste, dass er trotzdem zu spät kommen würde, wenn nicht irgendetwas den Bären aufhielt. Von oben hörte er Schüsse. Das war Rockenbach mit seiner Pistole, aber das Kaliber der Waffe war zu klein, um das Tier aus dieser Entfernung ernsthaft verletzen zu können oder auch nur abzubremsen.
    Adrian hetzte um eine mächtige Eiche herum, die ihm den Weg versperrte, und als seine Sicht wieder frei war, hatte sich die Situation in Sekundenbruchteilen komplett verändert. Unten neben der Rothaarigen stand jetzt noch ein zweites Mädchen! Hektisch sah es sich am Boden um, entdeckte einen Knüppel, packte ihn mit beiden Händen und stellte sich schützend vor die andere, die immer noch wie ein großer unbeholfener Käfer am Boden kauerte.
    Hätte Adrian nicht seinen Atem zum Rennen gebraucht, hätte er ausgiebig geflucht. Das Bärenbuffet hatte sich gerade verdoppelt. Immerhin war aber etwas anderes passiert, dass die Sache zum Guten wenden konnte. Fast zur gleichen Zeit wie das Mädchen, war Diabolo herunter gekommen und raste jetzt frontal auf den Bären zu. Das musste ihn einfach stoppen.
    Während Adrian mit großen Schritten über den Waldboden preschte, versuchte er trotzdem die Geschehnisse vor sich im Auge zu behalten. Er sah, wie der Bär, der jetzt seine Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, schlicht und einfach über den Hund hinwegdonnerte. Er stampfte ihn in Grund und Boden. Adrian meinte ein kurzes abgehaktes Winseln zu hören, dann war der Bär auch schon ein paar Meter weiter, einen seltsam zerknickten, leblosen schwarzen Körper zurücklassend.
    Jetzt brüllte das stehende Mädchen – eine Braunhaarige – zornig auf und schwang den Knüppel wild hin und her. Sie lief sogar ein Stück weit auf den Bären zu. Das Größenverhältnis zwischen beiden war grotesk. Im Vergleich zum Bären sah das Mädchen wie ein Kind aus und wirkte schrecklich verletzlich. Trotzdem zögerte der Bär und bremste ab. Er richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. Dann stampfte er auf zwei Beinen los.
    Eine winzige Zeitspanne war gewonnen. Sie musste einfach reichen. Adrian blieb stehen. In einer einzigen, fließenden Bewegung legte er das Gewehr an und schoss. Einmal, zweimal, dreimal. Schon im Moment des Abdrückens wusste er, dass er den Bären getroffen hatte. Aber würden ihn die Kugeln – schwere 7,62-Millimeter-Patronen - rechtzeitig stoppen?
    Seine stürmische Vorwärtsbewegung trug den Bären noch ein ganzes Stück weiter, dann brachen seine Beine unter ihm weg. Drei Meter von den Mädchen blieb er liegen.
    Adrian eilte auf die beiden zu. Wie erstarrt schauten sie auf den regungslosen Körper vor ihnen. Dann fuhr die Stehende herum und wandte sich Adrian zu. Den Knüppel hielt sie immer noch fest umklammert und zum Schlag erhoben. Sie keuchte. Der Mund stand halb offen. Ihre kurzen braunen Haare waren zerzaust. Blätter und kleine Äste hatten sich darin verfangen. Eine Haarsträhne hing über ihrem linken Auge. Sie stand leicht nach vorne gebeugt, um den Knüppel mit noch größerer Wucht schwingen zu können. Ihr blasses Gesicht zeigte einen Ausdruck irgendwo zwischen Furcht und Zorn. „Anne“, las er auf ihren Halsband.
    Eindeutig ein Liebhaberstück. Wirst ein Vermögen einbringen, kleines Bärenmädchen, dachte er. Seltsam verwirrt blieb er stehen. Fast genau wie das Tier nur Sekunden vorher. Er fuhr sich mit seiner linken, verkrüppelten Hand, an der die beiden Finger fehlten, übers Gesicht, als wollte er einen störenden Schleier wegwischen. Dann war der Moment vorbei.
    „Gib mir den Knüppel, Anne. Du bist jetzt in Sicherheit“, sagte er in ruhigen Ton und ging mit ausgestreckter Hand auf sie zu. Für einen Augenblick schien sie zu schwanken: Kämpfen oder nachgeben? Dann entspannte sich ihr Körper. Sie tat, was er wollte.
    „So und jetzt hältst Du deinen Blick gesenkt, wie man es dir aufgetragen hat“, sagte er immer noch betont ruhig.
    Ihre Augen waren mandelförmig. Heller Bernstein. Wie ungewöhnlich, sie schienen geradezu

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