Bärenmädchen (German Edition)
zugänglicher Wildnis gelassen.
Auch der Hauptzufahrtsweg zum Schloss wirkte auf Unwissende wenig einladend. Die asphaltierte Straße ging nach einigen Kilometern in einen unbefestigten Feldweg über. Mit einigem Aufwand wurde dieser Straßenabschnitt so hergerichtet, dass er auf den ersten Blick für einen normalen Wagen praktisch unbefahrbar wirkte, tatsächlich ließ er sich sogar mit einem tiefergelegten Sportwagen passieren. Das aber wussten nur Eingeweihte, ebenso war nur ihnen bekannt, dass - hinter einer scharfen, nicht einsehbaren Kurve – wieder eine normale asphaltierte Straße begann. Durch ein Tor, das Tag und Nacht von Adrians Leuten bewacht wurde, führte sie direkt zum Schloss.
Gefahr bestand also nur jenseits der Mauer. Außer seinen bewaffneten Sicherheitsleuten betrat aber praktisch niemand die äußere Zone zu Fuß. Beschäftigte und Besucher des Schlosses durchquerten sie im Auto, und die neuen Betas, die sich ihrem Ausbildungsort stets in einem „erleuchtenden und kontemplativen Fußmarsch“ – Abners Worte – näherten, wurden durch Rockenbach geschützt. Er hatte seine Pistole dabei und den Hund.
Der Teufel wusste, wo Rockenbach ihn aufgetrieben hatte. Passenderweise hatte er ihn Diabolo genannt. Es war ein Kangal, ein anatolischer Hirtenhund. Selbst für diese Rasse von Riesenhunden war er ungewöhnlich groß. Adrian schätzte seine Schulterhöhe auf knapp 90 Zentimeter.
Beim Gedanken an Rockenbach und seine schrägen Vorlieben musste Adrian wieder grinsen. Der 43-jährige Deutsch-Russe gehörte zu seinen Leuten. Er war ein guter Mann, wenn man ihn zu händeln wusste. Er und Rockenbach waren Kriegskameraden, die gemeinsam in der Legion gedient hatten. Später hatten sie sich zusammen als Söldner – oder, wie es heute meist hieß, als Sicherheitsleute – verdingt. Unteroffizier Sergej Rockenbach hatte seinem Hauptmann Adrian Götz mehr als einmal das Leben gerettet. Er war es auch gewesen, der ihn an jenem schicksalhaften Tag in Bagdad mehr tot als lebendig aus dem brennenden Wrack des Humvees gezogen hatte.
Adrian hatte Sergej dann drei Jahre später in die Organisation Magnus eingeführt. Der gemeinsame Aufenthalt in diversen Bordellen rund um den Globus hatte gezeigt, dass sie beide die gleichen sexuellen Vorlieben pflegten. Nun ja, Rockenbachs Neigungen waren, was dies betraf, sogar noch um einiges bizarrer als seine, dachte Adrian.
Er schaute noch einmal durch sein Fernglas auf die Gruppe der Mädchen. Sie würden noch etwa zwei Stunden unterwegs sein. Jetzt bewegten sie sich gerade auf den unbefestigten Teil des Weges zu. Rockenbach ritt etwa fünfzig Meter hinter ihnen. Sein Hund, der als düsterer schwarzer Schatten erkennbar war, stromerte meist zwischen seinem Herrn und den Mädchen hin und her. Manchmal allerdings schien er auch ins Tal hinunter zu wittern.
Trug ihm der Wind von dort aus die Witterung des Bären zu? Adrian beschloss auf dem Rückweg zum Schloss durchs Tal zu marschieren. Er griff sein Gewehr und begann zügig die Böschung hinab zu klettern. Unten im Tal marschierte er eine Weile parallel zu Rockenbach und seinem Trupp her. Die Straße verlief rechts von ihm in etwa 150 Metern Luftlinie. Auf freiem Gelände hätte er die Karawane der Mädchen schnell überholt, da er aber auf einem ziemlich unwegsamen Pfad unterwegs war, blieben sie etwa gleichauf. Zeitweise hörte er sogar das Hufgeklapper von Rockenbachs Wallach.
Weil er mit Glück auf den Bären stoßen würde, waren seine Sinne aufs Äußerste gespannt, und so schaute er fast im selben Augenblick, als der Lärm begann, nach rechts oben zur Böschung. Er hörte einen leisen Schrei und das Brechen von Ästen. Dann sah er, dass eines der Mädchen den Abhang herunterkugelte. Es hatte Glück im Unglück, denn die Sträucher und jungen Bäume auf seinem rasanten Weg abwärts stellten kein ernsthaftes Hindernis dar, sondern bremsten den Sturz eher ab.
Unten angekommen rollte es fast schon sanft auf einer grasbewachsenen Lichtung aus. Das Mädchen blieb kurz liegen, dann setzte es sich benommen auf. Es hatte feuerrote Haare und war ziemlich füllig. Seine ganze Haltung schien mehr Überraschung als Schmerz auszudrücken, meinte Adrian zu erkennen. Aber etwas irritierte ihn. Das Rascheln und Ästeknacken hatte nicht aufgehört. Nur, dass es jetzt von rechts kam und sogar noch lauter klang. Da kam etwas Großes durch das Unterholz geschossen!
Es war der Bär. Er brach aus einer mit dichtem Unterholz
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