Bärenmädchen (German Edition)
beschloss, darauf nur noch mit Schweigen zu antworten. Dascha hatte sich überhaupt nicht verändert. Sie war nun mal ein widerliches Froschgesicht, wie Miriam so schön erkannte hatte.
Da auch Dascha stumm blieb, war für eine Weile nur noch das Schaben der Knieschoner auf dem Steinboden zu hören und das Klatschen, wenn sie ihre Wischmobs auf die Platten knallten. Beide taten es mit so wütender Kraft, dass ihnen die Seifenlauge nur so um die Ohren spritzte.
Endlich näherten sie sich dem Ende der Fläche und langsam fühlte sich Anne einfach zu müde, um den Wischmob weiterhin so wild zu schwingen. Dascha schien es ähnlich zu gehen. Auch sie hatte einen Gang zurückgeschaltet. Außerdem wurde zumindest Anne von etwas anderem abgelenkt. Ein niedriger, kleiner Tisch verdeckte sie nun halb vor den Lesenden und auf diesem Tisch stand unübersehbar einer Teller mit Schokoladenpralinen. Irgendein Nutzer der Bibliothek hatte ihn vielleicht geordert, um sich eine besonders langweile Lektüre zu versüßen. Dann war er gegangen und noch hatte ihn keine Zofe fortgetragen. Anne starrte sehnsüchtig auf die Pralinen. Schokolade! Und wie lecker sie aussahen. Anne konnte sie praktisch bereits auf ihrer Zunge schmecken.
Dascha hatte sie beobachtet. Nun lächelte sie etwas verlegen und erklärte zerknirscht: „Tut mir wirklich leid wegen eben.“
Dann schob sie ihre Hand blitzschnell zum Teller und griff sich eine der Pralinen. „Bitte, ein Versöhnungsgeschenk. Hier sieht uns keiner. Nimm sie nur.“
Anne konnte einfach nicht widerstehen und schob sie sich in den Mund. „Mir tut es auch leid“, nuschelte sie mit vollen Backen, dann überließ sie sich ganz dem Geschmack. Es war herrlich. Das Konfekt explodierte förmlich auf ihrer Zunge. Ein Universum aus Schokogeschmack. Ein rosa Knopf, der auch ohne Attila von Ungruhe funktionierte, philosophierte sie selig, während die Praline in ihren Mund zerging. Rasch schaute sie sich um, ob sie nicht beobachtet wurden.
„Keine Angst, ich passe schon auf“, beruhigte sie Dascha, dann erklärte sie mit einem vielsagenden Blick auf den Räuberhauptmann: „Ich finde den ziemlich süß und würd‘ es toll finden, wenn er mein Gebieter wäre. Deswegen wollte ich wissen, ob da was zwischen euch läuft.“
„Süß? Ich hasse ihn!“, sagte Anne und schnappte sich noch eine Praline. Nur eine einzige noch. Auf dem Teller lagen so viele, dass es niemandem auffallen würde.
„Dann kann ich ihn also haben?“, fragte Dascha.
Anne schaute sie verständnislos an und vergaß dabei die weitere Praline zu essen. Sie nickte: „Natürlich.“
Da stand Dascha auf und ging zum Räuberhauptmann herüber. Anne war so perplex, dass sie sich nicht rührte. Daschas Verhalten kam so unerwartet, dass es völlig unwirklich erschien. Das Mädchen knickste vor Adrian Götz und wartete auf Sprecherlaubnis. Als ihr die gewährt wurde, erklärte sie mit lauter Stimme und zu Annes unendlichem Schrecken: „Ich möchte melden, dass Glöckchen von den Pralinen isst, Herr Götz.“
Anne war starr vor Entsetzen. Sie war nur noch fähig, sich quasi reflexartig die zweite Praline in ihren Mund zu stecken, konnte aber irgendwie nicht mehr kauen und schlucken. Auch ihre Beine wollten sich nicht mehr bewegen, so dass sie kniend sitzen blieb. Gleichzeitig lief jetzt alles wie in Zeitlupe ab. So als habe der große Sadist im Himmel oder wo auch sonst immer dafür gesorgt, dass das Schreckliche, was jetzt zweifellos kam, quälend langsam über sie hereinbrechen sollte.
Gemächlich kam der Räuberhauptmann näher. Dascha flatterte in ihren gelben Gummihandschuhen, den schwarzen Knieschonern und der weißen Unterwäsche wie ein exotisches buntes Vögelchen um ihn herum.
„Mund auf“, kommandierte der Räuberhauptmann, als er heran war.
Anne war viel zu entsetzt, um zu reagieren. Sie konnte nicht einmal schlucken. Aus großen Augen starrte sie den Räuberhauptmann an, ohne auch nur im Geringsten daran zu denken, dass auch dies verboten war.
„Mund auf“, befahl Götz noch einmal.
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Glöckchen klingelte wild. Das konnte einfach nicht wahr sein. Sie stammte aus gutbürgerlichem Haus. Sie war eine Studentin aus Hamburg. Ein ganz normales Mädchen. Nein, eine erwachsene Frau, die ein selbstbestimmte Leben führte. Sie war Anne Ludwig. Sie mochte die Filme von Doris Dörrie und sie kannte sich in feministischer Literaturtheorie aus. Sie war Anne Ludwig…
„Steh“, kommandierte
Weitere Kostenlose Bücher