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Bärenmädchen (German Edition)

Bärenmädchen (German Edition)

Titel: Bärenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Berlin
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Entschlossenheit ihre Rivalin diese Aufgabe anging.
    Dascha schaute nicht nach links und nicht nach rechts, sondern war einzig darauf konzentriert, sich das, was auf ihrem Teller lag, irgendwie zuzuführen. Sie aß so langsam, wie es die Krähe gerade noch tolerieren würde, aber sie schob sich die Bissen mit sturer Selbstdisziplin in den Mund. Sie kaute und schluckte wie eine Maschine. Zweimal glaubte Anne zu sehen, wie Dascha ein Würgen unterdrückten musste, aber sie aß restlos alles auf. Und dann? Dann schaute sie Anne plötzlich an und lächelte und dabei ließ sie ihre kleine rosa Zungenspitze sehen.
    Gelassen und mutig blickte Anne zurück. Sie hoffte jedenfalls inbrünstig, dass es so gewirkt haben mochte. Dass nichts, aber auch rein gar nichts verriet, was sie wirklich empfand: Eisige Furcht vor diesem unheimlichen Wesen, das ihre Feindin war. Niemals wieder, so schwor sie sich, wollte sie diese Person unterschätzen.
    Mit diesem Gedanken ging sie zu Bett. An Schlaf war allerdings nicht zu denken. Sogar des Nachts blieb Holly Rüschenbergs Uhr ihr die Zeitangabe nicht schuldig, denn sie besaß fluoreszierende Zeiger. Hellwach lag Anne da, starrte an die Decke und hörte den tiefen Atemzügen der Mädchen zu. Ines, die neben ihr im Bett lag, atmete, wenn sie im Tiefschlaf war, immer mit einem leisen Pfeifton aus. Anfangs hatte sie sich daran gestört, inzwischen aber beruhigte sie der Klang und ließ sie meist schnell wieder einschlafen, wenn sie des Nachts einmal aufwachte. Heute blieb auch dieses sanft-vertraute Schlafmittel wirkungslos. Abwechselnd und wie von selbst wanderten Annes Hände zum Halsband, mit dem sie an die Wand gekettet war, zum Nasenring mit dem Glöckchen und zum Keuschheitsgürtel – den drei Kennzeichen ihrer Knechtschaft. Ein wenig länger ruhte ihre Hand stets auf der Kunststoffschale, die ihren Schoß abschirmte. Wie gerne hätte sie sich dort berührt, um sich ein wenig Zärtlichkeit und Vergessen zu schenken.
    Sie drehte sich auf die Seite, zog sich die Decke über den Kopf und rollte sich, soweit sie nur konnte, zusammen. Ihre Arme legte sie dicht und schützend vor ihre Brüste. Die Hände, flach aufeinandergelegt, schob sie unter ihren Kopf. Ach, wenn sie jetzt nur ewig so liegen bleiben könnte.
    Liebeskummer wegen eines Vergewaltigers, Todfeindschaft mit einer bösartigen Natter und eine anstehende Bestrafung durch eine Virtuosin im Foltern und Quälen – das war etwas viel für eine kleine Beta. Sah so das Disneyland für ihre erregendsten Phantasien aus, das Ben Abner im Eingangsgespräch versprochen hatte?
    Sie dachte an den Räuberhauptmann. „Adrian Götz“, murmelte sie gegen die Bettdecke vor ihrem Gesicht und versuchte, sich noch ein Stück mehr zusammen zu kugeln. „Adrian, Adrian, Adrian“, flüsterte sie. Es war ein schöner Name. Auch wenn er einem gemeinen Schwachkopf gehörte.
    Sie war natürlich eine dumme Kuh, dass sie sich in diesen Typen verguckt hatte. Allein dafür gehörte sie schwer bestraft. Lieber an etwas anderes denken. Die Krähe. Da wusste man, woran man war. Böse bis ins Mark, oder besser bis in die letzte Federspitze. Allerdings hatte sie gestern nicht nur böse gewirkt, sondern auch enttäuscht. Ein unbehaglicher Gedanke. Anne wälzte sich auf den Rücken und starrte an die weißgetünchte Decke. Enttäuschen konnte man nur jemanden, der einem vertraute. Das verlieh Holly Rüschenberg ja fast menschliche Züge. Jetzt tat es ihr fast leid, was sie aus Fresssucht und Gedankenlosigkeit in der Bibliothek getan hatte. Sie hatte das in sie gesetzte Vertrauen missbraucht. Sie würde Buße tun, beschloss sie, und dass, was sie um 16.00 Uhr erwartete, als angemessene Strafe ertragen. Ob das gerecht war? Ja, es war gerecht, denn ihre derzeitige Herrin hatte es so entschieden.
    Mit diesem Gedanken schlief sie ein und als willige Büßerin stand sie am Morgen auf. Der Gedanke an die bevorstehende Strafe ließ sich so tatsächlich etwas leichter ertragen. Allerdings wohl auch, weil Dascha abgelenkt war und Annes Furcht nicht noch durch höhnische Blicke und bösartige Sticheleien steigerte. Blau war an diesem Morgen wieder aufgetaucht und Dascha schien ehrlich erfreut darüber zu sein.
    Äußerlich waren keine „Gebrauchsspuren“ durch die pausbäckige Krankenschwester zu erkennen. Aber Blau bewegte sich steif und vorsichtig, so als ob ihm manche Bewegungen Schmerzen bereiteten, und als die Krähe ihn einmal unerwartet berührte – Anne stand

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