Bärenmädchen (German Edition)
Geschichte voller Verrat, von Geldgier, von Fanatismus und von großer Tapferkeit, als Sergej Rockenbach ihn mehr tot als lebendig aus dem brennenden Wagen an der Schnellstraße zum Bagdader Flughafen gezogen hatte. Sie hörte ihm andächtig und fasziniert zu. Zweimal schlich sich ein Frauenname in seine Erzählung. Eine Aminah hatte ihn und sein Team verraten. Sie glaubte, an der Art, wie er von ihr sprach – und vor allen aus dem, was er nicht sagte –, herauszuhören, dass sie ihm viel bedeutet hatte, wenn er auch kaum etwas über sie preisgeben wollte.
War das die Frau, die ihn so misstrauisch hatte werden lassen? Wenn ja, dann hatte sie ihn auf eine Art und Weise verletzt, gegen die seine Narben und Verstümmelungen bloße Hautabschürfungen waren.
„Vier Monate lag ich dann in einem amerikanischen Armee-Hospital, und seitdem kann ich keine Bagels mehr sehen“, erklärte er schließlich. Anne lachte und dann meinte er, jetzt ironisch grinsend und auf den Teller mit den Pralinen schauend: „Was für ein schlechter Gastgeber ich doch bin. Ich langweile dich mit alten Kriegserinnerungen und biete dir noch nicht einmal eine Praline an. Ich glaube, sie schmecken dir ja recht gut.“
Das war jetzt ganz schön gemein. Willkommen zurück in der Welt der Alphas und Betas, dachte Anne. Sie sagte vorsichtig: „Bitte keine Pralinen, Herr Götz, Es wäre nicht recht.“ Als er sie fragend anschaute, fuhr sie fort: „Es war dumm und kindisch von mir, sie zu essen. Außerdem habe ich die Krähe damit enttäuscht.“
„Die Krähe?“
Anne wurde unbehaglich zumute. „Äh, ich meine Madame Rüschenberg“, sagte sie.
Er lachte. „So nennst du sie also. Ganz schön treffend. Und wie nennst Du mich?“
Anne wurde rot und schwieg.
„Erzählst Du es mir, wenn ich dir auch ein Geheimnis verrate?“
Sie versuchte ein zaghaftes Lächeln und nickte mit gesenktem Blick.
„Manchmal nenne ich Ben Abner Batman, weil er so spitze Ohren hat. Er lässt seine Haare absichtlich so schneiden, damit es nicht auffällt, denn er ist furchtbar eitel, aber wenn man genau hinschaut, sieht man es. “
Da musste sie doch wieder lachen. Laut und fröhlich, und ihr entging nicht, welch hingerissenen Blick ihr Adrian Götz dabei zuwarf. Bitteschön, sei nett zu mir, bring mich zum Lachen und du bekommst das so oft zu sehen, wie du willst, dachte sie.
„Jetzt bist du dran“, forderte er sie auf.
„Räuberhauptmann“, sagt sie etwas verlegen.
„Warum?“
Sie erklärte ihm, dass er doch aus dem Räuberwald gekommen sei, damals als er den Bären geschossen habe und dass Herr Rockenbach „Mon Colonel“ zu ihm gesagt habe. Außerdem – jetzt zögerte sie – habe sie ihn so genannt, weil er so böse war und ihr das alles angetan habe.
„Ich habe dir das Leben gerettet. Alles andere ist das, was deinem Wesen ebenso entspricht wie meinem“, sagte er daraufhin kühl.
„Das ist kompliziert“, erklärte sie und versuchte ein kokettes Lächeln nach Art von Dascha, aber er schaute jetzt betroffen. Sie hatte ihn verletzt. Aber wie war das möglich? Es war doch alles wahr. Wie konnte hier in Ordnung sein, was anderswo schreiendes Unrecht war? Alles in ihr rebellierte in diesem Augenblick dagegen an, ihm nachzugeben.
Jetzt schwiegen sie sich an. Der Räuberhauptmann vertiefte sich wieder in seine Zeitschrift, und mit jeder Seite, die er umblätterte, spürte Anne, wie sie unglücklicher wurde. Vor allem, weil ihr langsam bewusst wurde, dass er eigentlich ja recht hatte. Es war albern zu verleugnen. dass ihr das „schreiende Unrecht“ hier im Schloss Lust und Wonne in nie gekanntem Maß bereitete. Kummervoll blickte sie auf den Teller mit den Pralinen, der mitsamt dem Tablett immer noch auf dem Beistelltisch der Leseecke stand. Eigentlich waren diese verdammten klebrigen, dickmachenden Dinger an allem schuld. Sie hasste Schokolade!
Und da fühlte sie plötzlich seine Hand an ihrer Wange. Jetzt berührte er sie so vorsichtig und behutsam, als wäre diesmal sie das scheue, fluchtbereite Tier. Dabei hätte sie in diesem Augenblick doch um nichts in der Welt ihren Kopf auch nur einen Millimeter beiseite bewegt. Genießerisch schloss sie die Augen und überließ sich ganz dem Spiel seiner Fingerkuppen auf ihrer Haut und dem Wunder, dass eine Welt voller Finsternis durch eine einfache Geste in ein buntes Märchenreich verwandelt werden konnte.
Und es hielt märchenhafte Überraschungen für das kleine Skavenmädchen bereit. Sie erfuhr,
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