Bärenmädchen (German Edition)
aus!
9. Kapitel:
Kissenschlacht
Das „Zukunfts-Gespräch“ wurde es genannt. Am Samstag, einen Tag vor dem Willkommensfest, mussten alle zehn Zöglinge noch einmal einzeln bei Ben Abner erscheinen. Diesmal fand die Zusammenkunft in seinem Büro im Schloss statt. Es ging für die Mädchen um eine Entscheidung von allergrößter Tragweite: Dem endgültigen Beitritt als Beta zur Organisation Magnus.
Ines war vor Anne im Büro des Schlossherren. Anne selbst wartete im Korridor auf ihr Gespräch. Sie saß im „Platz“ auf einer Gummimatte, neben der Tür zu Abners Büro. An vielen Stellen des Schlosses lagen diese dicken, schwarzen Matten. Betas, die aus irgendeinem Grund warten mussten, wurden auf ihnen sozusagen geparkt. Das Knien darauf war sehr viel erträglicher als auf den steinernen Böden des Schlosses, aber Anne vermutete, dass es den Alphas eher darum ging, das Äußere ihrer Lustobjekte nicht durch Schwielen oder Hautabschürfungen an den Beinen zu beeinträchtigen. So etwas war natürlich längst nicht so dekorativ wie die aparten Spuren, die Peitsche, Rohrstock oder andere Schlaginstrumente hinterließen.
Nun ging die Tür zu Abners Büro auf, und Ines trat heraus. Bestürzt sah Anne sie an. Betroffen und ängstlich wirkte sie, als sie sich neben Anne auf der Matte niederließ. Wie gerne hätte sie jetzt ein paar Worte mit ihr gewechselt, aber schon hörte sie das Tischglöckchen, mit dem Ben Abner zum Eintreten aufforderte. Ihre Audienz beim Schlossherren begann und sie eilte in den Raum.
Vierzehn Tage waren seit ihrem Gespräch mit Abner im Verwaltungsgebäude vergangen. Es hätten ebenso gut ein oder zwei Jahre sein können. Wie damals die Zofe Jennifer trat sie nun powackelnd und mit demütigt gesenktem Blick unter seine Augen. Die Gegenwart des mächtigen Alpha allein reichte, um sie schüchtern und beklommen werden zu lassen.
Da sie ihre Zöglingskleidung, also die weiße Unterwäsche, trug, konnte sie nur ein imaginäres Schürzchen lüften, als sie vor ihm stand. Aber das tat sie mit spitzen Fingern und so grazil wie möglich. Ebenso ließ sie sich in einem besonders tiefen und demütigen Knicks niedersinken.
„Herr Dr. Abner haben gerufen.“
Anne glaubte, durchaus Wohlgefallen in seinem Blick zu erkennen, als der Schlossherr mit lässiger Geste auf den leeren Stuhl vor dem Schreibtisch wies. „Setz dich Glöckchen und mach‘s Dir bequem. Wir wollen ja Wichtiges bereden.“
Offensichtlich saß ihr da jetzt wieder der harmlose und etwas zerstreute Herr Professor aus ihrem Begrüßungsgespräch gegenüber. Abner begann in einem dicken Stapel Akten auf seinem Schreibtisch herumzuwühlen. Anscheinend suchte er nach ihren Unterlagen. Annes Anspannung ließ etwas nach, und sie konnte es nicht unterlassen nach Abners Ohren zu spähen. Sie musste ein Grinsen unterdrücken. Adrian hatte natürlich recht gehabt. Das waren echte Batman-Ohren, wenn auch gut getarnt, durch einen raffinierten Haarschnitt.
Seit ihrem gestrigen Treffen in der Bibliothek dachte Anne im Übrigen an kaum etwas anderes als an Adrian. Sie beschäftigte sich mit so wichtigen Dingen wie der Frage, ob sein Haar wirklich schwarz war oder eher einem dunklen Mahagoni entsprach. Sie rätselte, ob sich in seiner Aussprache ein Dialekt oder ein Akzent erkennen ließ. Eigentlich wusste sie kaum etwas über ihn. Nicht einmal seine Nationalität war ihr bekannt. Immer wieder grübelte sie auch über die Frau namens Aminah nach.
Adrian war ihr Fixpunkt und ihre fixe Idee, ihr Leuchtturm und ihr Irrlicht. In Momenten düsterer Verzweiflung war sie überzeugt, dass er als Alpha einfach nur den Kick genoss, mit ihren Gefühlen zu spielen. Später würde er sie grausam fallen lassen. So etwas musste ihm als Sadisten doch allergrößtes Vergnügen bereiten. Dann wiederum fielen ihr in seliger Gewissheit tausendundein Beweis ein, dass es nichts, aber auch rein gar nichts zu zweifeln gab. Sofort spürte sie wieder seine Lippen. Sie blickte in dahingeschmolzene Eisaugen – Waren sie eigentlich himmelblau oder eher türkis? – und versuchte, sich jede Nuance seiner so betörenden Stimme ins Gedächtnis zu rufen. Auf keinen Fall aber wollte sie bei dieser Unterredung mit Abner etwas falsch machen. Etwas, dass ihre Beziehung zu Adrian hätte gefährden können.
Abner hatte jetzt ihre Akte aufgespürt. Es war ein altmodisch aussehendes Ding in einem braunen Umschlag. Ihr Vor- und Nachname stand drauf.
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