Baeuerin sucht Frau
Nur anders. Es nützt nichts, mir das Gegenteil vorzumachen.
Ich bin nicht locker drauf, ich habe die Situation nicht unter Kontrolle. Ich habe sie zwar sehr interessiert verfolgt, beobachtet, kommentiert. Als stände ich außen vor. Aber ich habe auch miterlebt, mitgefühlt, mitgeküsst. Ganz und gar nicht außen vor, sondern mittendrin. Ein ziemliches Auf und Ab was sich da in mir abspielte. Und immer noch abspielt. Wie ist das bitteschön möglich, wo ich doch in einer glücklichen Beziehung mit Carmen stecke?
Auch ohne Psychologiestudium erkenne ich: Irgend etwas stimmt mit mir und meinen Gefühlen nicht. Ich bin extrem durcheinander.
Umständlich räuspere ich mich. »Ich glaube wir sollten von hier verschwinden.«
Wortlos dreht Antje sich um, geht vor mir durch die lange Halle zurück zum Eingang. Draußen erwartet uns Otto. »Und, was gefunden?«, flüstert er mit Verschwörermiene.
Antje lehnt sich wortlos an die Wand der Lagerhalle, wirkt abwesend. Ich versuche, den Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken und meine Gedanken auf die nächst notwendige Handlung zu konzentrieren.
»Hallo!?« Otto wird ungeduldig. »Was ist denn los?«
»Vier. Vier Kanister«, berichte ich stockend. Und es gelingt mir tatsächlich einen klaren Gedanken zu fassen. »Jetzt müssen wir Weinhaus irgendwie hierher lotsen.«
»Das bereden wir morgen«, beschließt Otto. »Ihr seht beide ziemlich fertig aus. Na ja, so ein Einbruch geht an die Nerven.« Er kichert vergnügt. »Jedenfalls der erste. Beim zweiten sieht das bestimmt schon anders aus.«
Da weder Antje noch ich über seine Bemerkung lachen, bemüht er sich schnell um ein ernstes Gesicht. »Okay, ab nach Hause ihr zwei. Ich rufe Erik an, dass alles in Ordnung ist.«
Nach Hause. Ein guter Vorschlag. Etwas sagt mir, dass Antje es auch so sieht. Wir müssen beide erst mal einen klaren Kopf bekommen. Jede für sich.
Zu Hause. Allein in meiner Küche. Ich gieße den restlichen Rotwein von gestern in ein Glas, nehme es mit ins Wohnzimmer. Hier setze ich mich auf die Couch, nippe an dem Glas, stelle es ab.
Der Versuch, endlich wieder zur Ruhe zu kommen, misslingt. Absolut. Ich kann nicht mal eine Minute sitzen bleiben. Stattdessen springe ich auf, laufe auf und ab, rücke Dinge an den rechten Platz, obwohl sie eigentlich am rechten Platz stehen. Teelichthalter, Nippesfigürchen, Blumentöpfe. Je nachdem wo im Wohnzimmer ich mich gerade befinde. Dann rücke ich alles wieder zurück.
Okay Sylvia, beruhige dich! Versuche ich mir selbst zu sagen. Das war ein aufregender Abend. Antje hat die Kanister gefunden. Das ist phantastisch! Ein Superknaller! Freu dich darüber! Wuttke wird Rede und Antwort stehen müssen. Es gilt nur noch, Weinhaus ins Boot zu bekommen. Das schaffst du schon!
Jetzt zu dem was sich in diesem Abstellraum abgespielt hat. Mal ganz sachlich. Der Kuss war eine Notmaßnahme. Ganz klar. Dann seid ihr, du und Antje, da raus. Antje war wahrscheinlich noch traumatisiert. Auch klar. Du selbst ... standest unter dem Eindruck von ... na ja von allerlei verwirrenden Ereignissen in den letzten Tagen. Stress!
Ich bin erleichtert, dass mir das einfällt.
Ja genau. Du bist sehr gestresst! Und in Stresssituationen reagiert man eben nicht logisch. Sonst hättest du dich ganz sicher von Antje gelöst. So hast du es nicht getan. Vielleicht war auch ein Funke Neugier dabei. Ja, genau! Neugier auf die Fortsetzung der Zehntelsekunde! Wie küsst Antje? Möglicherweise fragte sich das dein Unterbewusstsein schon länger, pochte in dieser Situation auf sein Recht und setzte sich wegen deines angegriffenen Gemütszustandes tatsächlich durch. Sagen wir mal so. Es war Stress, gepaart mit Neugier.
So weit, so gut.
Warum dann diese Nervosität in mir? Wäre nicht ein einfaches »War ganz nett« der Situation angemessen? Es war aber nicht nur »ganz nett«. Sondern mehr.
Nur was?
Und wie bringe ich das Ganze Carmen bei? Sie fährt morgen früh zum Fotografieren zu einem Bodypaintingwettbewerb, kommt Samstagabend zurück. Das verschafft mir glücklicherweise etwas Zeit. Beim Telefonieren muss ich ihr nicht in die Augen schauen, aber wenn wir uns wiedersehen, wird sie es mir anmerken!
Was anmerken, Sylvia? Dass dein Herz einer anderen gehört, du bisher nur zu schwer von Kapee warst es zu merken?
Ist das so?
»Was tigerst du denn hier rum?«
Ich fahre erschrocken herum. Nina steht verschlafen in der Tür. Ein Blick zur Uhr. Es ist zwei Uhr!
»Is´n los?«, nuschelt
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