Bahama-Krise
der
Kopf des Fremden im Großformat erschien. Der Fotolaborant hatte gute
Arbeit geleistet, wenn man bedachte, wie klein das Negativ war. Zwar
war das Foto nicht ganz scharf, offenbar hatte Sue die Entfernung nicht
richtig eingestellt. Aber es zeigte den Mann mit hinreichender Klarheit.
Er war noch jung. Ich würde sagen, unter dreißig. Und es sah
so aus, als ob er blonde Haare hatte. Breite Stirn, kleines Kinn,
tiefliegende Augenhöhlen. Eine Hand war zum Gesicht unterwegs, als
wollte er es abdecken. Mir fiel ein, daß dies auch der Grund für die
Unschärfe des Fotos sein konnte. Der Mann hatte sich plötzlich
abgewandt, als er merkte, daß er fotografiert wurde. Auf dem Farbabzug
war zu sehen, daß er gerade aus der Kabine hochkletterte. Offenbar
hatte er erst in diesem Augenblick gemerkt, daß ein Fotoapparat auf ihn
gerichtet war. Immerhin war es ihm nicht mehr gelungen zu verschwinden,
bevor es klickte. Sue hatte ihn auf die Platte gebannt.
Lange betrachtete ich das Gesicht dieses Fremden. Sah so ein
Mörder aus? Und wie sah ein Mörder überhaupt aus? Wie du und
ich – so meine Vermutung, als ich das Foto auf den Tisch
zurücklegte.
Ich war gerade dabei, Perigord anzurufen, als das
Gegensprechgerät summte. Ich legte den Hörer wieder auf. »Was gibt's,
Jessie?« fragte ich.
»Mr. Ford ist hier für Sie.«
Ich hatte das Gespräch ganz vergessen, zu dem ich Sam Ford
hergebeten hatte. Jetzt wartete er draußen. Ich schob die Fotos zur
Seite.
»Herein mit ihm, Jessie!«
Sam Ford war Schwarzer, auf den Bahamas geboren. Er war der
Manager des kleinen Jachthafens, den ich vor unserem ›Sea Gardens
Hotel‹ in New Providence hatte bauen lassen. Ein tüchtiger Mann, mit
Erfahrung auf See. Seit dem Gespräch mit Perigord gingen mir die
verschwundenen Boote im Kopf herum. Ich wollte dafür sorgen, daß
zumindest aus den Jachthäfen, wo ich das Sagen hatte, keine Boote
geklaut wurden. Sam Ford sollte mir dabei helfen.
Er trat ein. »Guten Morgen, Mr. Mangan.«
»Guten Morgen, Sam. Komm, setz dich.«
Er nahm Platz. »Tut mir leid, daß ich nicht zur Beerdigung
kommen konnte. Es gab Probleme im Jachthafen, ich konnte nicht weg.
Mein Beileid.« Er reichte mir die Hand.
Ich erinnerte mich, er hatte einen Kranz geschickt. »Danke,
Sam.« Er lehnte sich zurück. Wir schwiegen. »Ich habe über unsere
Jachthäfen nachgedacht«, sagte ich schließlich. »Wir haben derzeit
drei, sobald das Hotel in Eleuthera fertig ist, sind es vier. Wenn die
Dinge so laufen, wie ich es vorhabe, könnten bald noch mehr daraus
werden. Bisher sind die Häfen immer dem jeweiligen Hotel angegliedert.
Der Hafenmeister ist dem Hotelmanager verantwortlich. Und das hat auch
schlecht und recht funktioniert. Aber es ist auch öfter zu Reibereien
gekommen. Was sagen Sie dazu?«
»Mit dem Manager vom ›Sea Gardens Hotel‹ bin ich schon einige
Male zusammengerasselt«, berichtete er. »Archie Bain glaubt, er
verstünde mehr von Booten als jeder noch so erfahrene Skipper. Es ist
nicht immer erfreulich.«
Ich nickte. Von den anderen Jachthäfen hatte ich ähnliches
gehört. Überall kam es zu Eifersüchteleien zwischen den Hafenmeistern
und den Hotelmanagern. »Wir werden das ändern«, sagte ich. »Wir gründen
einen Unternehmensbereich ›Häfen‹. Der Bereichsleiter ›Häfen‹
untersteht nicht mehr dem jeweiligen Hotelmanager, sondern dem
Bereichsleiter ›Hotels‹. Die Hafenmeister haben sich dann nur noch an
den Bereichsleiter ›Häfen‹ zu halten. Dieser Mann hätte dann nicht nur
die Hafenmeister zu überwachen, sondern auch den zentralen Einkauf für
die Häfen zu bewerkstelligen. Hättest du Lust, den Job zu übernehmen?«
Er sah mich erstaunt an. »Ich – Bereichsleiter?«
»Ja, mit dem Gehalt eines Bereichsleiters.«
Sam holte tief Luft. »Davon habe ich mein Leben lang geträumt,
Mr. Mangan.«
»Du hast den Job«, sagte ich. »Am Ersten des kommenden Monats
fängst du an, also in vierzehn Tagen. Und als Bereichsleiter kannst du
mich auch duzen, wie die anderen.«
Wir gingen die Aufgaben durch, die ihn in der neuen Stellung
erwarteten, setzten seine Befugnisse und seine Grenzen fest und
sprachen auch über das Gehalt. »Noch eines wäre mir wichtig«, sagte
ich, als wir ziemlich am Ende waren. »Ich möchte, daß die
Sicherheitsvorkehrungen in allen unseren Jachthäfen verstärkt werden.
Wieviel Boote sind in New Providence schon gestohlen worden?«
»Vom ›Sea Gardens Hotel‹?« Er kratzte sich am Kopf.
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