Ball der Vampire
weggeben. Nicht nur unterschied sich mein Geschmack radikal von Hadleys, sie hatte auch schmalere Hüften und weniger Busen gehabt als ich und ganz andere Farben getragen. Meine Cousine hatte dunkle, dramatische Kleidung bevorzugt, ich dagegen war eher der unauffällige Typ. Ein paar hauchdünne schwarze Blusen und Röcke gefielen mir eigentlich ganz gut, doch als ich sie anprobierte, sah ich aus wie eine der Vampirsüchtigen, die ständig an Erics Bar im Fangtasia herumhingen. Nicht gerade das Image, das ich anstrebte. Nur eine Handvoll Trägertops, eine Shorts und ein Schlafanzug landeten schließlich auf dem Haufen »Behalten«.
Weil ein Vorrat an großen Müllsäcken da war, stopfte ich die Kleidung erst mal da hinein. Die Säcke stellte ich allesamt auf die Galerie hinaus, damit in der Wohnung nicht so ein Durcheinander entstand.
Um die Mittagszeit hatte ich angefangen, und die Stunden vergingen sehr schnell, nachdem ich herausgefunden hatte, wie Hadleys CD-Player funktionierte. Eine Menge Musik war von Künstlern, die nie zu meinen Lieblingen gezählt hatten - keine große Überraschung. Allerdings war's ganz interessant, mal reinzuhören in die Unmengen von CDs, die Hadley besessen hatte: No Doubt, Nine Inch Nails, Eminem, Usher.
Mit den Kommodenschubladen im Schlafzimmer begann ich, als es gerade dunkel wurde. Einen Augenblick lang stellte ich mich auf die Galerie in die milde Abendluft und sah, wie die Stadt für den vor ihr liegenden Abend erwachte. New Orleans war die Stadt der Nacht. Es hatte schon immer ein lärmendes, zügelloses Nachtleben gehabt. Doch inzwischen war es zu einem solchen Zentrum der Untoten geworden, dass es seinen Charakter zu verändern begann. Viel Jazz in der Bourbon Street wurde von Händen gespielt, die das Sonnenlicht zuletzt vor Jahrzehnten gesehen hatten. Als ich Töne in der Luft aufschnappte, Musik von weit entfernten Vergnügungen, setzte ich mich auf einen Stuhl auf der Galerie und hörte eine Weile zu. Hoffentlich würde ich etwas von der Stadt zu sehen bekommen, wenn ich schon hier war. New Orleans ist mit keiner anderen Stadt Amerikas vergleichbar, das war es auch schon vor dem Ansturm der Vampire nicht. Ich seufzte und merkte, dass ich hungrig war. Hadley hatte natürlich nichts zu essen im Kühlschrank, und ich würde bestimmt nicht anfangen, Blut zu trinken. Amelia wollte ich nicht schon wieder um etwas bitten. Wer immer mich heute Abend zur Königin abholte, würde sicher an einem Lebensmittelladen anhalten können. Vielleicht sollte ich erst mal duschen und mich umziehen.
Als ich wieder hineingehen wollte, fiel mein Blick auf den Wäschekorb mit den schmutzigen Handtüchern, den ich am Abend vorher hinausgestellt hatte. Jetzt rochen sie viel stärker, das wunderte mich. Ich hätte gedacht, der Geruch würde eher schwächer werden. Stattdessen verschlug es mir vor Ekel fast den Atem, als ich den Wäschekorb wieder hineintrug. Diese Handtücher mussten gewaschen werden. In einer Ecke der Küche stand so eine Wasch-Trockner-Kombination, unten die Waschmaschine, oben der Trockner. Ein Turm der Reinlichkeit.
Die Handtücher ließen sich nicht mal ausschütteln, sie waren ein einziger verklebter und verknitterter Haufen. Ungeduldig zerrte ich an einem herausstehenden Zipfel eines Handtuchs, und schließlich lösten sich die Handtücher voneinander und lagen ausgebreitet vor mir.
»Oh, Scheiße «, sagte ich laut in die Stille der Wohnung hinein. »Oh, nein .«
Die Handtücher waren so verklebt und verknittert, weil sie voller Blut waren.
»Oh, Hadley«, sagte ich. »Was hast du getan?«
Der Geruch war genauso schlimm wie der Schock. Ich musste mich erst mal an den kleinen Küchentisch setzen. Flocken verkrusteten Bluts waren auf den Boden und meine Arme gerieselt. Die Gedanken eines Handtuchs konnte auch ich nicht lesen, Himmel noch mal. Meine außergewöhnlichen Fähigkeiten waren mir mal wieder eine große Hilfe. Ich brauchte... eine Hexe. Eine Hexe wie die, die ich belehrt und weggeschickt hatte. Ja, genau so eine.
Aber zunächst musste ich erkunden, ob die Wohnung noch mehr solcher Überraschungen bereithielt.
O ja. Das tat sie allerdings.
Die Leiche war im begehbaren Schrank, der vom Flur aus zu erreichen war.
Es lag überhaupt kein Geruch in der Luft, obwohl sich die Leiche, ein junger Mann, vermutlich seit Hadleys Tod da befand. Ob dieser junge Mann vielleicht auch ein Dämon war? Aber er sah gar nicht aus wie Diantha, Gladiola oder auch Mr Cataliades.
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