Ball der Vampire
man Gedanken lesen konnte, blieben einem kaum Zweifel, wie schlecht selbst die besten Menschen sein konnten.
Doch das hier hatte ich weiß Gott nicht kommen sehen.
Zu meinem eigenen Entsetzen begannen mir Tränen die Wangen hinunterzulaufen. Ich zog ein Papiertaschentuch aus meiner kleinen Handtasche und tupfte mir das Gesicht ab. Die Vampire starrten mich alle unverhohlen an, sogar Jade Flowers Gesichtsausdruck war endlich einmal leicht zu deuten: reine Verachtung.
»Haben Sie Schmerzen?«, fragte die Königin und zeigte auf meinen Arm.
Ich glaube nicht, dass es sie wirklich interessierte. Sie zwang sich vermutlich schon so lange zu dieser von Menschen erwarteten höflichen Nachfrage, dass es zum Reflex geworden war.
»Im Herzen«, sagte ich und hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen.
»Oh«, erwiderte sie. »Bill?«
»Ja.« Ich schluckte und tat mein Bestes, um diesen Gefühlsausbruch in den Griff zu bekommen.
»Ich habe um Hadley getrauert«, sagte sie unerwartet.
»Es war gut, dass sie jemanden hatte, der das tat.« Und einen Moment später fügte ich hinzu: »Ich wäre froh gewesen, wenn ich früher von ihrem Tod erfahren hätte.« Noch vorsichtiger konnte ich es leider nicht ausdrücken. Erst Wochen nach dem Tod meiner Cousine hatte ich davon erfahren.
»Es hatte seine Gründe, dass ich Cataliades erst so spät zu Ihnen geschickt habe«, erklärte Sophie-Anne. Ihr glattes Gesicht und ihre klaren Augen waren so undurchdringlich wie eine Wand aus Eis, und ich hatte stark das Gefühl, dass sie über dieses Thema lieber nicht reden wollte. Ich sah die Königin an und versuchte, irgendeinen Hinweis aufzufangen, und sie gab mir einen fast unmerklichen Wink mit den Augen zu Jade Flower hin, die rechts neben ihr saß. Wie Jade Flower mit diesem Schwert auf dem Rücken so entspannt dasitzen konnte, war mir ein Rätsel. Ich hatte allerdings das untrügliche Gefühl, dass sie trotz ausdrucksloser Miene und gelangweiltem Blick alles aufmerksam aufsog, was gesprochen wurde.
Sicherheitshalber beschloss ich, gar nichts mehr zu sagen, und so verging der Rest der Fahrt in Schweigen.
Rasul wollte die Limousine nicht in den Innenhof fahren, und ich erinnerte mich, dass auch Diantha auf der Straße geparkt hatte. Er ging nach hinten, öffnete der Königin die Tür, und Andre stieg als Erster aus, sah sich lange in alle Richtungen um und nickte, als er die Lage für sicher genug hielt. Rasul stand mit dem Gewehr in der Hand da und ließ seine Blicke durch die Gegend schweifen, Andre war genauso wachsam.
Als Nächste glitt Jade Flower aus dem Wagen und begann ebenfalls, sich umzusehen. Die drei schützten die Königin mit ihren Körpern, als sie sie in den Innenhof führten. Dann stieg Sigebert aus, die Streitaxt in der Hand, und wartete auf mich. Als ich neben ihm auf dem Gehweg stand, kam Wybert hinterher, und die beiden führten mich im Gegensatz zur Königin ohne große Umstände durch die offene Einfahrt.
Ich hatte die Königin bei mir zu Hause gesehen, ohne Bewachung und nur begleitet von Cataliades, und in ihrem Büro, bewacht von nur einer Person. Bisher hatte ich mir nicht klargemacht, wie wichtig Sicherheit für Sophie-Anne sein musste, wie gefährdet ihre Machtposition zu sein schien. Ich fragte mich, gegen wen all diese Bewacher sie schützten. Wer wollte die Königin von Louisiana töten? Vielleicht waren alle Vampirherrscher großer Gefahr ausgesetzt - vielleicht aber auch nur Sophie-Anne. Und plötzlich erschien mir die Vampirkonferenz im Herbst viel furchterregender als vorher.
Der Innenhof war gut beleuchtet, und in der runden Auffahrt stand Amelia mit ihren drei Freunden. Nur fürs Protokoll: ein altes Weib auf einem Besenstiel war nicht darunter. Einer war ein Teenager, der aussah wie ein Missionar der Mormonen: schwarze Hose, weißes Hemd, schwarzer Schlips, polierte schwarze Schuhe. An dem Baum mitten in der runden Auffahrt lehnte ein Fahrrad. Vielleicht war er ja tatsächlich ein Mormonen-Missionar. Er wirkte so jung, dass er vielleicht noch im Wachstum war. Die große Frau neben ihm war Mitte sechzig, hatte allerdings einen enorm durchtrainierten Körper. Sie trug ein enganliegendes T-Shirt, eine Strickhose, Sandalen und große runde Ohrringe. Die dritte Hexe war ungefähr in meinem Alter, so Mitte bis Ende zwanzig, und Lateinamerikanerin, mit vollen Wangen, knallroten Lippen und wellig herabfallendem schwarzem Haar. Sie war ziemlich klein, verfügte dafür aber über mehr Kurven als ein S.
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