Ballade der Leidenschaft
Bad auf ihre steifen Glieder und schmerzenden Muskeln ausübte.
In einem plötzlichen Luftzug flatterte der Vorhang zwischen Bens Kabine und ihrer eigenen. Eine Tür fiel ins Schloss, auf der anderen Seite flackerten Lichter. Rozenn vernahm ein Plätschern. Stieg Ben in seinen Zuber? Dann hörte sie sein wohliges Stöhnen und Wortfetzen eines Gesprächs, das in einem anderen Teil des Badehauses geführt wurde.
Nein, sie wollte sich nicht ausmalen, wie Barbe nebenan Wasser in den Zuber da und über Bens Kopf goss, auf die gleiche angenehme Weise, wie ihr Haar von Soaz getränkt wurde. Genauso wenig werde ich mir vorstellen, wie diese vollbusige Person seine Schultern massiert, so wie Soaz meine … Beides war schließlich ganz harmlos.
Oder nicht?
Die Augen geschlossen, lehnte sie sich zurück und überließ sich den fachkundigen Händen des Mädchens, das ihr Haar wusch. Dabei versuchte sie, nicht darüber nachzudenken, was in der Nachbarkabine geschah. Das hatte mit ihr nichts zu tun.
Allmählich merkte Rozenn, dass sie sich tatsächlich entspannte – solange sie ihre Aufmerksamkeit nur noch auf Soaz’ wohltuende Finger richtete.
In dieser Nacht ging sie früh zu Bett. Das Abendessen, das Irene serviert hatte – Brathähnchen mit glasierten Zwiebeln –, war köstlich gewesen, und Rozenn hatte es in vollen Zügen genossen, ebenso den Auftritt Bens, der die Gäste der „Brücke“ mit seiner Version des Rolandsliedes unterhielt. Zu gern wäre sie etwas länger im Schankraum geblieben. Aber als ihr Kopf zum dritten Mal fast auf den Tisch fiel, erkannte sie, dass sie sich zurückziehen musste. Der lange Ritt hatte sie sehr ermüdet.
Am Fuß der Treppe blieb sie stehen, dankte Irene für die Mahlzeit und machte ihr Komplimente für die wundervollen Kochkünste. Dann schleppte sie sich nach oben. Bens schöne Singstimme folgte ihr die Stufen hinauf; ein tröstlicher, vertrauter Klang. Im ersten Stock durchquerte Rozenn das öffentliche Schlafquartier. Hier und da lagen Bündel am Boden. Auf einem lag eine Puppe, neben einem anderen stand ein Paar Schuhe. Also waren noch einige Reisende in der „Brücke“ abgestiegen.
Rozenn schloss den Vorhang, der das private Schlafgemach vor dem öffentlichen Raum abschirmte, hinter sich, öffnete ihren Ranzen und nahm ihr Nachthemd heraus.
Verwundert betrachtete sie Bens Habseligkeiten, die auf den Bodenbrettern verstreut lagen. So unordentlich verhielt er sich normalerweise nicht. Wahrscheinlich war er in Eile gewesen. Nach der Rückkehr aus dem Badehaus hatte er kaum genug Zeit gefunden, um seine Laute zu stimmen. Dafür brauchte er auf seinen Reisen immer etwas länger, hatte er ihr erklärt. Das hing mit den Bewegungen des Pferdes zusammen, die sich auf das Instrument auswirkten, mit Veränderungen der Temperatur oder der Luftfeuchtigkeit.
Da er mit seinem Gesang für sie beide Kost und Logis in diesem Gasthof verdiente, fühlte Rozenn sich verpflichtet, seine Sachen zu ordnen. An einem seiner Hemden war der Saum abgerissen, und sie legte es auf den Bettrand, um den Schaden am nächsten Morgen bei Tageslicht zu beheben. Dann faltete sie die übrigen Hemden und Tuniken und stapelte sie neben Bens Ranzen. Die Ersatzschnüre für sein Beinkleid rollte sie zusammen. Schließlich hängte sie das Kurzschwert an den Wandhaken. Sie hätte schwören können, dass es dort gehangen hatte, als sie zum Badehaus aufgebrochen waren …
Schließlich löschte sie alle Kerzen außer einer, die sie für Ben brennen ließ, und sank in das große Bett. Seufzend genoss sie die weiche Matratze und den Lavendelduft der kühlen, sauberen Laken.
Sie musste eingeschlummert sein. Denn sie erwachte, weil die nächtlichen Geräusche in Hennebont anders klangen als in Quimperlé. Natürlich – jetzt wohnte sie nicht mehr im Kaufmannsviertel Hauteville.
Dies war die erste Nacht ihres Lebens, die sie nicht in Quimperlé verbrachte. Abrupt öffnete sie die Augen. Im öffentlichen Schlafraum wurde irgendetwas über den Boden geschleift. Noch ein Reisender mit seinem Gepäck? „Maman!“ , rief ein Kind. Leise und besänftigend ertönte eine Frauenstimme. Rozenn versuchte, wieder einzuschlafen. Nur Reisende, so wie ich, sagte sie sich. Aber die kleine Störung hatte sie aufgerüttelt. Die Schläfrigkeit, die von ihrem warmen Bad, Irenes Brathähnchen und Bens vertrauter Singstimme herrührten, war vergangen. Jetzt konnte sie nur noch daran denken, dass sie in einem fremden Bett lag – in
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