Ballade der Leidenschaft
einer fremden Stadt.
Meilenweit war sie von Ivona entfernt. Von Mikaela. Und von Adam.
Rozenn kniff die Augen zusammen und bemühte sich, das angenehme Gefühl ihrer Trägheit wieder heraufzubeschwören. Aber obwohl die Musik der Laute mit dem Leopardenkopf immer noch durch die Bodenbretter heraufdrang, war die einschläfernde Zufriedenheit so unwiederbringlich verschwunden wie der Morgennebel unter der Sonne.
Im öffentlichen Schlafraum auf der anderen Seite des Vorhangs erklang das leise Gelächter eines Mannes. Wispernd sprach eine Frau auf ihn ein – die Mutter, die das Kind beruhigt hatte? Der Mann lachte wieder, die Frau kicherte. Dann raschelten Kleider und frisch gestärkte Leinenlaken.
Ein Ächzen. Ein Seufzen. Beschleunigte Atemzüge. Rozenn presste sich eine Hand an die Wange. Um zu wissen, was da drüben geschah, musste sie es nicht erst sehen.
Jetzt ein gedämpftes Poltern, ein Flüstern. „Oh Liebste, ja !“ Sanftes, rhythmisches Ruckeln. Die Frau stöhnte, als würde sie es genießen.
Sicher nicht in einem öffentlichen Schlafraum?
Zum Glück ist Ben in meiner Nähe, dachte Rozenn. Wäre ich allein in der Passagierkabine von Ketills Schiff, und andere Reisende würden sich so verhalten wie dieses Paar … Dem Himmel sei Dank für Ben! Seine Anwesenheit in diesem Gasthof machte vieles leichter. Er sorgt für mich. Immer wird er für mich sorgen – wenn er bei mir ist. Was nicht oft der Fall ist …
Sie nagte an ihrem Daumennagel. Aber wenn er da ist, kümmert er sich um alles. Er scheut weder Kosten noch Mühen, um mich zu erfreuen – dieses teure Jasminöl im Badehaus …
Würde Sir Richard sie auch so verwöhnen? Sie spielte mit dem goldenen Kreuz an ihrem Hals, fand aber keine Antwort. Trotz der angeregten Gespräche, die sie über den Mahlzeiten im „Weißen Vogel“ geführt hatten, und obwohl er ein enger Freund ihres Bruders war, blieb er ein Fremder. Trotzdem glaubte sie, dass er als Ehemann verlässlicher wäre als Ben. Zum Beispiel würde Sir Richard mehr Zeit mit ihr verbringen. Gewiss, die Ritter mussten ihren Herren dienen. Doch sie bewohnten Herrschaftshäuser, in die sie regelmäßig zurückkehrten. Und ein Ritter war an seine Ländereien gebunden – ein fahrender Sänger hatte keine Heimat. Grundbesitz bedeutete jedoch Sicherheit.
In diesem Moment stieß der Mann auf der anderen Seite des Vorhangs einen Schrei der Erfüllung aus. Ein paar letzte sanfte Bewegungen, dann verebbten die Geräusche. Nur das liebevolle Geflüster der Frau war zu hören und verriet, dass der Gemahl ihr nicht wehgetan hatte. Rozenn war erleichtert. Denn wenn alle Frauen die ehelichen Pflichten hassten – so wie sie Pers Bemühungen verabscheut hatte …
Würde sie es hassen, wenn sie mit Sir Richard im Bett lag?
Sie begann an einem anderen Fingernagel zu kauen. Sicherlich erwartete er von ihr, am Liebesakt Gefallen zu finden. Aber wenn sie zu jenen Frauen gehörte, die dergleichen niemals genießen konnten? Solche Frauen gab es, das hatten die Wäscherinnen am Fluss in Quimperlé erwähnt. Frauen, die kein Mann zu erfreuen vermochte … Womöglich bin ich eine dieser Frauen – leidenschaftslos, gefühlskalt.
Schnelle Schritte näherten sich. Ben? Aus der Schankstube drang Stimmengewirr herauf, vermischt mit dem Scharren von Löffeln und Messern auf Holzplatten. Pfannen klapperten. Doch der Gesang war verstummt.
Nun wurde der Vorhang beiseitegezogen, und Ben trat ein, die Laute mit dem Leopardenkopf in der Hand.
Reglos lag Rozenn zwischen den Laken, die Lider halb gesenkt, als würde sie schlummern. Aber sie sah ihn deutlich im Kerzenschein.
Ben schaute zu ihr herüber und öffnete seine Gürtelschnalle. Auf diese Weise hatte sich auch ihr Ehemann Per für das Bett bereitgemacht. Meist hatte sie unbehaglich – und zumeist vergeblich – gehofft, er würde glauben, sie wäre schon eingeschlafen, und ihr sein Verlangen nicht aufzwingen.
In dieser Nacht war es anders. Rozenn lag in dem Bett, das auch Herzog Hoël zu benutzen pflegte. Während sie abwartete, wo Ben sich hinlegte, fühlte sie sich ruhig und gelassen. Kein Widerwillen. Wo immer Ben auch schlafen wollte, er würde ihr niemals wehtun.
Sie öffnete die Augen und setzte sich auf. Endlich gelang es ihr, die Frage auszusprechen, die sie seit der Ankunft im Gasthaus beschäftigte. „Wo wirst du schlafen, Ben? Am Boden oder hier im Bett?“
Im Kerzenlicht glänzten seine Augen, bevor er die langen dunklen Wimpern senkte.
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