Ballade der Leidenschaft
nicht stören. Alles durfte Benedict mit ihr machen. In vollen Zügen würde sie es genießen.
Und das, erinnerte sie sich, ist ja auch der Zweck dieser gemeinsamen Nacht. Ben erweist mir einen Gefallen, weil ich ihn darum gebeten habe. Weil er nun einmal Ben ist und die Frauen liebt. Alle Frauen. Für mich hegt er keine besonderen Gefühle, abgesehen von der Zuneigung, wie er sie für eine Schwester empfinden würde.
Eine ernüchternde Erkenntnis, die Rozenn plötzlich innehalten ließ. Offenbar von ähnlichen Gedanken bewegt, rückte Ben von ihr ab. Aber er nahm ihre Hand, als wollte er den Abstand zwischen ihnen, den er selbst verursacht hatte, überbrücken. Besänftigend strich er mit seinem Daumen über ihre Handfläche.
„Wie keusch …“, meinte sie und drückte seine Finger ärgerlich zusammen, weil er ihr nicht erlaubte, ihre nackten Brüste an ihn zu schmiegen. Wo sie sich doch so glühend nach ihm sehnte – trotz jenes Abkommens. Das ist Benedict, sagte sie sich. Benedict, der jede Frau liebt.
„So keusch muss es sein“, entgegnete er leise. „Bitte, Rose, wir müssen uns beherrschen.“
Seite an Seite saßen sie im Zelt, und ihre Atemzüge beruhigten sich allmählich. Erbost überlegte Rozenn, was Ben unter Keuschheit verstand, während sie nackt im Dunkel neben ihm kauerte, sein Geruch ihr in die Nase drang und er nur noch seine Hose trug. Nachdem sie einander überall berührt hatten. Nun ja, fast überall. Noch immer hatten ihre Finger nicht gespürt, was …
„Obwohl ich es will, kleine Blume“, fügte er hinzu, „es wäre zu gefährlich.“
„Das weiß ich, es könnte zu – Schwierigkeiten führen.“ Ein Kind. Ungebeten tauchte die Vision eines lachenden kleinen Jungen mit braunen Augen voller grüner und goldener Punkte in ihrer Fantasie auf. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Hastig verscheuchte sie das Bild. Niemals würde sie mit Ben ein Kind zeugen.
„Ja.“ Erstaunlicherweise klang seine Stimme traurig. Bereute er seinen Entschluss? Bedauerte er, dass sie kein Kind empfangen würde – dass sie sich nicht vereint hatten? Er war ein Mann. Und die Wäscherinnen in Quimperlé behaupteten, es sei das Sinnen und Trachten jedes Mannes, seine Fleischeslust mit einer Frau zu stillen.
Sie unterdrückte einen Seufzer und tastete in der Finsternis nach ihrem Hemd. Nein, sie konnte sich nicht beklagen. Ben war eben Ben, und er hatte ihren Wunsch erfüllt. So schnell, mit ein paar gezielten Berührungen, hatte er ein brennendes Verlangen entfesselt.
Und Sir Richard? Eine Gänsehaut ließ sie erschauern. Die Stirn gerunzelt, stellte Rozenn sich vor, der Ritter würde sie auf diese Weise berühren … Nein. Nein! Allein schon bei dem Gedanken fröstelte sie. Ein unangenehmer Verdacht keimte in ihr auf. Waren Bens Küsse die einzigen, die sie ertrug?
Natürlich durfte sie sich nicht in ihn verlieben. Er war nicht einfach nur Ben, ihr guter Freund, sondern auch Benedict, der berühmteste Lautenspieler im Herzogtum, in allen Schlosshallen des Landes willkommen. Um Himmels willen, ein fahrender Sänger, ein heimatloser Wanderer! In der Musik sah er seinen Lebensinhalt. Die Frau, die damit konkurrieren könnte, hatte das Licht der Welt noch nicht erblickt.
Sie straffte die Schultern und bezwang ihre beklemmende Melancholie. „Wie gut, dass ich dich um Hilfe bat, Ben!“, beteuerte sie in fröhlichem Ton.
„Oh …“ Der Druck seiner Finger verstärkte sich. „Empfindest du keine – Abneigung mehr?“
„Im Moment nicht.“ Mit dir überhaupt keine. „Du bist sehr gut. Das wusste ich.“
„Wie bitte?“ Seine Frage klang sarkastisch. „Meinst du – wegen meines üblen Rufs?“
„Sicher, was sonst?“, erwiderte sie leichthin. „Vielen Dank, Ben.“
„Gern geschehen, kleine Blume.“
Nicht nur er besaß ein scharfes Gehör. Auch ihr entging der gepresste Klang seiner Stimme nicht. Was mochte das bedeuten?
Plötzlich erwachte Ben, griff nach seinem Kurzschwert und spähte durch die Öffnung des Zelts ins Dunkel. Ganz in der Nähe raschelte es, eine Eule rief und durchbrach die spätnächtliche Stille. Dann ein zweiter Schrei, weiter entfernt; der Vogel flog davon.
Neben Ben atmete Rose leise und gleichmäßig, ähnlich dem sanften auf- und abschwellenden Wellengang des Meeres in einer ruhigen Augustnacht. Zögernd streckte er eine Hand aus und strich über ihren warmen Rücken. Sie murmelte etwas Unverständliches und drehte sich zu ihm herum. Wehmütig verzog er
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