Ballade der Leidenschaft
Irgendwie spürte sie, wie gefährlich dieser Mann war. Gewiss würde er jedem, der ihn schief anschaute, ohne zu zögern die Kehle durchschneiden. Skrupellos genug, um für König William zu arbeiten …
Und worüber hatte Ben mit Eudo im Lager auf der Waldlichtung gesprochen? Bedrückt stocherte sie mit ihrem Messer im Lammfleisch herum und schob es zur Seite.
Eben erst hatte sie zu hoffen gewagt, Ben wäre etwas verlässlicher geworden und sie könnte ihm vertrauen. Allmählich gestand sie sich sogar ein, welch ein schwerer Fehler es wäre, ihre Hoffnungen in Sir Richard zu setzen, wenn sie Ben liebte.
Wenn sie Ben liebte?
Plötzlich war Rozenn blind für den opulenten Glanz der Halle, taub für das Stimmengewirr, das Klirren der Messer. Sie liebte ihn. Als sie spürte, wie trocken ihr Mund wurde, hob sie den Weinbecher an die Lippen. Sie liebte Benedict. Nicht wie eine Schwester ihren Bruder, nicht wie den besten Freund aus Kindertagen. Hastig leerte sie den Becher und betrachtete abwesend den Bodensatz. Nein, sie liebte ihn, wie eine Frau einen Mann liebte – den Mann, den sie heiraten wollte.
Unmöglich – sie durfte sich nicht erlauben, Ben zu lieben, einen fahrenden Sänger, der wenig mehr besaß als die Kleidung, in der er auftrat. Natürlich konnte sie ihn nicht heiraten.
Aber Sir Richard of Asculf auch nicht. Und er nannte Ländereien sein Eigen und … Welch eine Närrin war ich! Immer schon hatte ihr Herz für Ben geschlagen. Das hatte Mikaela erkannt, während sie selber – blind und töricht …
Jetzt schwang die Tür zum Nordturm auf, und Ben betrat die Halle – allein, die Laute mit dem Leopardenkopf in der Hand. Im rauchigen Schleier trafen sich ihre Blicke, und seine Miene erhellte sich.
Und Roses Herz, ihr dummes, verirrtes Herz, schmerzte in ihrer Brust und drohte zu brechen. Was plante er?
Sobald Bens Vortrag und die Mahlzeit beendet waren, ergriff Rozenn eine Kerze und floh aus der Halle. Eine Zeit lang würde es noch dauern, bis Ben sich von seinem begeisterten Publikum würde befreien können. Mit stürmischem Applaus war sein Gesang belohnt worden. Nun wurde er von Bewunderern umringt, die eine Zugabe forderten.
Am Fuß der Wendeltreppe des Nordturms zögerte sie kurz. Diese Stufen führten zu dem Raum hinauf, in dem sie mit Ben die Nacht verbringen würde. Schließlich raffte sie die Röcke, steckte sie in ihren Gürtel und stieg nach oben. Das Treppenhaus war stockdunkel, ihre Schritte klangen seltsam hohl auf den Brettern.
Bretter? Sie spähte nach unten und strich mit einer Stiefelspitze über eine Stufe. Ja, sie war aus Holz, und es hörte sich hohl an. Die Stirn gerunzelt, hob sie ihre Kerze und prüfte die Wände. Noch mehr Holz. Der Nordturm bestand nicht, wie sie vermutet hatte, aus Stein, sondern vollständig aus Holz! Gewiss, es war billiger, und es ging schneller, einen Turm aus Holz zu errichten. Vielleicht war der Herr von Josselin nicht so reich und mächtig, wie er es vorgab, versuchte jedoch, den Eindruck einer uneinnehmbaren Burg zu erwecken. So wie Comtesse Muriels Wandteppich war auch diese Festung ein Symbol ehrgeizigen Strebens, nicht Zeichen einer tatsächlichen einflussreichen Position. Nur ein Täuschungsmanöver – so wie ein Hund sein Fell sträubte, um andere zu verscheuchen. Aber wäre Rozenn in so unruhigen Zeiten die Herrin einer Burg, würde sie wahrscheinlich auch solche Methoden anwenden, um Attacken abzuwehren.
Durch einen Fensterschlitz wehte ein Luftzug herein und ließ die Kerze heftig flackern. Rose schützte das Flämmchen mit ihrer hohlen Hand. Nun wusste sie, warum der Nordturm so schlecht beleuchtet war – Fackeln in Wandleuchtern würden die Gefahr einer Feuersbrunst heraufbeschwören.
Als sie den Treppenabsatz vor dem Lagerraum erreichte, hörte sie ein Rascheln und schauderte. Hier oben mussten Ratten hausen. Sicher konnten sie sich mühelos durch die Holzwand der Kammer nagen und an alles herankommen, was immer William hier oben verwahrte.
Noch ein Luftzug drohte die Kerze zu löschen. Sorgsam hütete Rose das Flämmchen und hoffte, im Lagerraum weitere Kerzen vorzufinden. Mit hellerem Licht würde sie die Ratten verscheuchen können. Zusätzlich stampfte sie kraftvoll mit einem Fuß auf, um die Biester zu warnen. Dann öffnete sie die Tür.
Graue Schatten erfüllten das Zimmer. Nur in einer Ecke sah sie einen schwachen Schimmer. Dort hatte jemand eine Laterne hingestellt. Für mich? Irgendwie zweifelte Rozenn daran.
Weitere Kostenlose Bücher