Ballade der Leidenschaft
absolute Diskretion war, hatte der Herzog ausdrücklich betont. Die Verbindung zwischen Hoël und seinen Anhängern in England, die hergestellt und gefestigt werden sollte, musste streng geheim bleiben. Dem neuen englischen König würden bretonische Umtriebe in seinem Reich ganz und gar nicht gefallen.
„Habt Ihr Abt Benoîts Brief bei Euch?“, fragte Gurth.
„Natürlich.“ Ben spähte über seine Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie nicht beobachtet wurden. Dann griff er in den Körper seiner Laute hinein und tastete nach dem Pergament. Nicht nur wegen seiner Liebe zur Musik und seiner Laute trug er das Instrument stets bei sich. Glücklicherweise hatte er es im Zelt zurückgelassen, als er im Wald niedergeschlagen worden war. Immer wieder versteckte er geheime Botschaften im Klangkörper. „Hier.“ Das Pergament war trocken und knisterte, als er es hervorzog.
„Danke.“ Gurth musterte das unversehrte Siegel des Abtes, und der Brief verschwand in seiner Tunika.
„Vermutlich sind König Williams Leute dahinterher. Seid also vorsichtig.“
„Oh?“ Gurths Stimme klang beiläufig. Aber Ben ließ sich nicht täuschen – der Mann war so angespannt, wie es die neuen Saiten sein würden, sobald Ben sie aufgezogen hatte.
Während er sich daran machte, berichtete er in knappen Worten, wie jemand seine Sachen durchsucht hatte. Er erwähnte auch den Anschlag auf Gien und die Ereignisse im Wald, auf der Reise nach Josselin. „Wie gesagt, zum ersten Mal schöpfte ich Verdacht, als wir in Hennebont übernachteten.“
„Wir?“
„Rose und ich.“
„Ah, das hübsche Mädchen ist Eure Geliebte?“
„Nein, Rose ist …“ Eine heiße, unerwartete Sehnsucht erfasste Bens Herz. Wäre sie bloß meine Geliebte … „Meine Beziehung zu Madame Rozenn steht nicht zur Debatte.“
„Wie Ihr wollt.“ Gurth zuckte mit den Schultern. „Kehren wir zu unserem Problem zurück. Seid Ihr sicher, dass unsere Gegner den Jungen in Hennebont attackierten, weil sie ihn mit Euch verwechselt hatten?“
„Ich nehme es an, denn er ist dunkelhaarig, ähnlich wie ich gebaut, und er trug ebenso wie ich eine grüne Tunika. Zudem war der Hof des Gasthauses beim Stall schlecht beleuchtet. Und dann wurde ich in der Nähe unseres Nachtlagers im Wald niedergeschlagen.“ Ben neigte sich auf seinem Stuhl vor, rieb seinen Kopf und grinste wehmütig. „Damals hätte ich Eure Hilfe gebrauchen können, mein Freund. Und zuvor ein warnendes Wort. Wäre Rose verletzt worden …“
Ben schob die letzte neue Saite in ihren Wirbel und machte sie fest. Zweifellos war Gurth dem Herzog genauso treu ergeben wie er selbst … Und dann hielt er die Luft an. Nein, das stimmte nicht mehr. Seit er diese Reise mit Rose angetreten hatte, wurde seine Loyalität gegenüber Hoël einer härteren Prüfung unterzogen als nie zuvor.
Oh, Himmel! Niemals hätte er Rose in diese heikle Mission hineinziehen dürfen. All die Gefahren hätte er voraussehen müssen. Er wandte sich wieder Gurth zu. „Reitet Ihr von hier aus geradewegs nach Rennes?“
„Ja. Werdet Ihr mir folgen?“
Ben schüttelte den Kopf. „Erst einmal muss ich Rose nach England begleiten. Danach …“ Unschlüssig hob er die Schultern.
„Warten wir’s ab.“ Gurth öffnete seine Börse, nahm ein paar Goldmünzen heraus und drückte sie in Bens Hand. „Die soll ich Euch im Auftrag des Herzogs übergeben.“
„Vielen Dank.“
„Alles Gute.“ Gurth wollte aufstehen, hielt jedoch inne. „Sicher sehe ich Euch zu Weihnachten am Hof.“
„Und ich Euch“, gab er Gurth die Antwort, die dieser sicher erwartete. In Wirklichkeit hatte Ben keine Ahnung, wo er die Weihnachtstage verbringen würde. Falls Hoël ihn zu sich beorderte, würde er den Hof natürlich aufsuchen. Genauso gut konnte es sein, dass er in England blieb …
Am westlichen Ende der Galerie schwankte der Vorhang wie in einer Brise. Ben schaute auf. „Da kommt jemand. Offenbar in großer Eile.“
Gurth erhob sich. Lautlos wie eine Katze lief er in die andere Richtung. „Dann – lebt wohl! Viel Glück!“
„Das wünsche ich Euch auch“, murmelte Ben.
Eine hastige Verbeugung, Vorhangringe klirrten. Schon war Gurth verschwunden.
„Ben!“, rief Rose und stürmte in die Galerie. In ihrer Hast stolperte sie beinahe. „Überall habe ich dich gesucht.“
Nach einem kurzen Blick in ihr Gesicht legte er die Laute beiseite und sprang auf.
Ihre Augen waren weit aufgerissen, die Wangen kalkweiß. Und ihr Schleier
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