Ballade der Leidenschaft
Diese Laterne musste jemand hier vergessen haben. Gefährlich …
In diesem Moment löste sich aus der Finsternis eine menschliche Gestalt und eilte auf Rose zu, aus der Ecke, wo Ben seinen Ranzen zurückgelassen hatte. Ein Mann! Ein schwarzer Umhang mit Kapuze flatterte hinter ihm.
Die Zeit schien langsamer zu verstreichen, und Rozenn hörte sich nach Luft schnappen. Wieder flackerte die Kerze, während der Mann näherkam und immer größer zu werden schien, bis er dicht vor ihr stand und sie überragte.
Auf ihre Finger tropfte heißes Wachs. „W…wer seid Ihr?“
Kurz sah sie etwas Silbernes im Dunkeln aufblitzen, da schlug schon eine Faust gegen ihre Brust. Eine Hand ausgestreckt, taumelte Rozenn nach hinten und sank zu Boden; ihr Kopf prallte gegen Kalktünche. Die Kerze fiel ihr aus der Hand und erlosch.
Dann neigte sich die Gestalt herab. Noch einmal blitzte Silber auf, und ein heftiger Schmerz stach in Roses rechte Hand.
Der Umhang wirbelte herum, Finsternis breitete sich aus, und Rozenn war allein. Atemlos zitterte sie am ganzen Körper. Auf der Wendeltreppe entfernten sich die polternden Schritte des Eindringlings.
Wie Feuer brannte Roses rechte Handfläche. Aber da ihre Kerze und die Laterne ausgegangen waren, konnte sie nicht feststellen, wie verletzt sie war. Sie hob die Hand an ihre Lippen. Feucht. Ein metallischer Geschmack.
Blut!
Wer immer der Eindringling sein mochte – er musste Bens Ranzen durchwühlt haben. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Das war schon einmal geschehen! Im Gasthaus von Hennebont hatte sie Bens Sachen am Boden verstreut gefunden … Also war er, entgegen ihrer Vermutung, nicht in Eile gewesen – jemand hatte zwischen seinen Habseligkeiten irgendetwas gesucht. Derselbe, der soeben davongerannt war?
Sie saugte das Blut aus der Wunde in ihrer Handfläche. War Ben noch in der Halle? Wo hielt er sich jetzt auf?
Da saß sie allein in einem dunklen Turm, in einem fremden Schloss, und ein Schurke hatte ihre Hand mit einem Messer verletzt. Obwohl Ben unverlässlich war, obwohl es Geheimnisse zwischen ihnen gab – sie brauchte ihn.
„Oh Ben“, wisperte sie. „Wo bist du?“
Ben saß auf einem Stuhl in der Galerie oberhalb der Halle und wartete auf Gurth.
Wie sich erwiesen hatte, war Gurth – der Rotschopf, dem er in Quimperlé begegnet war – ebenfalls ein Gesandter Herzog Hoëls, und er würde die Nachricht des Abtes nach Rennes bringen. Dem Himmel sei Dank! Sobald Ben ihm den Brief übergeben hatte, würde er unbehelligt mit Rose nach England reisen können. Daran zweifelte er nicht.
Soweit er es festgestellt hatte, wussten nur drei Personen von seiner Mission in England – der Herzog, Adam und er selbst. Dabei musste es bleiben, das war lebenswichtig. In den Augen der Öffentlichkeit war er einfach nur ein fahrender Sänger, der eine alte Freundin nach England zu ihrem Bruder geleitete.
Die Laute auf den Knien, lockerte er die Wirbel, um die abgenutzten Saiten durch neue zu ersetzen. Da bewegte sich der Vorhang neben ihm, Gurth schlich herein und setzte sich zu ihm. Um diese späte Stunde hatten sie die Galerie für sich allein. Noch immer drangen Stimmen aus der Halle herauf, wo die Leute ihr Bettzeug ausbreiteten und um die besten Schlafplätze stritten.
Ben blickte von seiner Laute auf und nickte Gurth zu. „Gewiss wäre es hilfreich gewesen, hätte ich schon in Quimperlé erfahren, dass Ihr für Herzog Hoël arbeitet“, bemerkte er im Flüsterton, weil er immer und überall die Anwesenheit von Lauschern befürchtete. Nur zu gut erinnerte er sich an den Anschlag auf Gien und danach auf sich selbst, nahe dem Nachtlager im Wald. „Ich hielt Euch für einen von König Williams Männern.“
„Verzeiht mir“, bat Gurth ebenso leise. „Aber Herzog Hoël wies mich an, Euch den Rücken zu decken. Hättet Ihr Bescheid gewusst …“
Ben versteifte sich. Das brauchte Gurth ihm nicht genauer zu erklären. Wäre Ben über die Tätigkeit des Rotschopfs informiert worden, hätte er ihn vielleicht unabsichtlich den Leuten verraten, die andere Interessen verfolgten. „Eigentlich sollte der Herzog mir zutrauen, keine dummen Fehler zu machen.“
„Das tut er, Spielmann. Nehmt es nicht persönlich. Hier geht es um Politik. Herzog Hoël sorgt für Euch. Und er ist stets sehr vorsichtig.“
Während Ben die letzte alte Saite abzog, nickte er.
Hatte Gurth Kenntnis von jener anderen, bedeutsameren Mission erhalten? Nein, wahrscheinlich nicht. Wie wichtig
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