Ballade der Leidenschaft
ins normannische Französisch über, als er einen rotbackigen, etwa fünfzigjährigen Mann ansprach, der gerade einige Diener anwies, ein Fass auf eine der Anrichten zu hieven. Rozenn vermutete, dass es sich bei dem korpulenten Mann um den Schlossverwalter handelte.
„Benedict!“ Freudestrahlend drehte er sich um. „In der Tat, und jetzt noch besser, weil ich dich wiedersehe! Geht es dir gut?“
„Ganz ausgezeichnet.“
Während Rozenn sich in der Halle umsah, lauschte sie mit halbem Ohr dem Gespräch der beiden Männer. Dank der Jahre, die sie bei Comtesse Muriels Damen verbracht hatte, fiel es ihr nicht schwer, das normannische Französisch zu verstehen. Ehrfürchtig begutachtete sie den edlen Wandbehang. Wer mochten der Herr und die Herrin von Josselin sein? Sie hatte geglaubt, der von ihr entworfene Wandschmuck für die Burg von Quimperlé wäre überdurchschnittlich groß. Aber neben diesem würde er geradezu winzig wirken. Goldene und silberne Fäden glänzten, wenn sich der Stoff sanft im Luftzug bewegte. Während sie noch überlegte, was die Materialien und die Arbeitszeit der Stickerinnen wohl gekostet haben mochten, gesellte Ben sich zu ihr.
„William, das ist Rozenn. Rose – William, der Schlossverwalter.“ Dann senkte er seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Hör mal, William – Rose ist – das heißt – wir … Kannst du uns für heute Nacht etwas außerhalb der Gemeinschaftshalle anbieten?“
Mit einem freundlichen Nicken begrüßte William sie, schüttelte dann aber den Kopf. „Tut mir leid, Benedict, an einem ungünstigeren Tag hättet ihr nicht hier eintreffen können. Morgen wird der Pferdemarkt abgehalten, und heute Nacht würde ich nicht einmal Platz für eine Maus finden, geschweige denn ein Privatzimmer für euch beide.“
Ben zeigte bedeutsam auf seine Lautentasche. „Nicht einmal für einen außerplanmäßigen Auftritt?“
Ein zweites Mal schüttelte William den Kopf. „Obwohl ich untröstlich bin – nein. Hättest du mich bloß von deiner Ankunft informiert! Alfonse le Brun und seine Truppe sind schon seit Wochen für diese Nacht gebucht.“ Grinsend fügte er hinzu: „Und die sind fast so beliebt wie du.“
„Ich wette, in deren Repertoire fehlt Turolds neues ‚Rolandslied‘“, meinte Ben beiläufig.
„Was?“ Williams Augen verengten sich. „Nun führst du mich in Versuchung. Kennst du es wirklich?“
„Allerdings. Bei meinem letzten Besuch in der Normandie hörte ich es den Meister selbst singen.“
„Und du beherrschst es bis zur letzten Strophe?“
„Bis zur letzten Note.“ Ben hob eine Braue. „Vorausgesetzt, du beschaffst uns ein Gemach. Nach einem guten Nachtschlaf leistet mir mein Erinnerungsvermögen stets die besten Dienste.“
William warf einen vielsagenden Blick auf Rose. „Ach, tatsächlich? Schlaf? “
Errötend senkte sie die Wimpern, und Ben lachte. Sobald sie mit ihm allein war, würde sie ihn ermorden.
William Steward rieb sich das Kinn. „Im Nordturm hätten wir einen Lagerraum“, bemerkte er nachdenklich. „Für jemanden, der uns das ‚Rolandslied‘ vorsingen wird, ließe sich ein Plätzchen freimachen.“
„Oh William, du bist ein Engel!“ Ben ergriff Rozenn beim Arm und versuchte, sie in Richtung einer Tür zu ziehen.
„Bedenkt bitte, dass es im Nordturm keine Feuerstelle gibt“, warnte William.
„Im Sommer stört uns das nicht. Komm, Rose.“
Aber sie widersetzte sich seinem Griff. „Was ist mit Eudo und Gien?“
Höflich verneigte sich der Ritter, der mit seinem Knappen neben ihnen gewartet hatte, und zog ihre Hand an seine Lippen. „Für uns ist die Halle wahrlich gut genug, Madame.“
„Werden wir Euch wiederfinden?“ Plötzlich fürchtete sie, ihre neuen Freunde im gewaltigen Trubel auf der Burg zu verlieren.
„Gewiss, Madame, beim Abendessen sehen wir uns.“
Beruhigt folgte sie Ben aus der Halle.
Am Vorabend des alljährlichen Pferdemarkts wurde in der dicht bevölkerten Halle von Château de Josselin eine grandiose Mahlzeit geboten, wenn auch in einer recht chaotischen Atmosphäre. Die langen Tische waren zu einem großen U zusammengeschoben worden und mit blendend weißem Leinen gedeckt. Vom Kronleuchter, der an einem Deckenbalken hing, tropfte Wachs herab. Messingtöpfe und – kelche spiegelten das flackernde Kerzenlicht. Im Herdfeuer knisterten die Scheite, Messer scharrten auf Holzplatten. Das Stimmengewirr der Gäste schwoll abwechselnd an und flaute ab. Lachend und
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