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Ballast oder Eva lernt fliegen

Ballast oder Eva lernt fliegen

Titel: Ballast oder Eva lernt fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Jeuk
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Eva wollte bereits erleichtert aufatmen, da versetzte die Bürobotin ihr einen Schock, indem sie dem Personalchef ungebeten erklärte, Eva (sie sagte: Frau Idengart) habe den neuen Trend einmal ausprobieren wollen, er wisse schon, die neue gepflegte Natürlichkeit, die jetzt in den Büros ganz groß im Kommen sei. Aber sie, Ariane, habe Eva bereits darauf hingewiesen, dass dieser Stil mit dem Dresscode ihres Unternehmens ab-so-lut unvereinbar sei.
    Der Personalchef starrte unwillig Ariane an, die er noch nie hatte ausstehen können. Dass die vorlaute Person auch noch Recht hatte, ging ihm ganz entsetzlich gegen den Strich. Mit Wohlgefallen ruhte dagegen sein Blick auf Eva, die ihn unsicher anlächelte. Beruhigend lächelte er zurück. Er habe durchaus bereits eine – im Übrigen längst überfällige – Änderung des Dresscodes der Geschäftsleitung vorschlagen wollen, versicherte er ihr, wobei er Ariane demonstrativ den Rücken zuwandte, und er sei sicher, dass die... äh... neue Natürlichkeit sehr viel zeitgemäßer sei. Solange man nicht bei bauchfrei und Turnschuhen ende...
    Selbstverständlich nicht!, gab Ariane sich schockiert. Der neue Look sei weder billig noch freizügig. Und überhaupt sei Evas Kleid von Bieriani!
    Eva, die zu diesem Gespräch lediglich ihre dekorative Anwesenheit beisteuern konnte, wusste später kaum, ob sie lachen oder weinen sollte. Energisch verlangte sie Aufklärung. Weder von dem Trend, noch von der Marke habe sie jemals gehört oder gelesen. Das Ganze sei doch völlig aus der Luft gegriffen! Was Ariane unumwunden zugab. So müsse frau Männern kommen, belehrte sie ihre schöne neue Freundin. Nun dächte der Affe, es sei seine eigene Idee, und in der nächsten Info stünde dann, dass der neue Look erlaubt sei. Eva werde schon sehen!
    Die starrte Ariane fasziniert an und fragte, warum sie nur Bürobotin sei, bei soviel überragender Intelligenz.

    Eva ging beschwingt nach Hause an jenem Tag. Der Personalchef hatte ihr Geburtstagspräsent (weil es ein runder war: eine Magnumflasche Sekt) höchst persönlich zum Empfang gebracht und sie wie nebenbei gefragt, wie der neue Look denn nun offiziell hieße. Unvorbereitet wie Eva war, wollte sie bereits Nude Look antworten, in Assoziation zum gleichnamigen Make-up-Style, an den sie seit dem Mittagessen immer wieder denken musste, weil er so dezent war, dass Ariane die dahinter steckenden Künste vermutlich nicht einmal würde bemerkt haben. In letzter Sekunde fiel ihr ein, dass die Geschäftsleitung unmöglich einen Nude Look zum Dresscode erheben konnte, und ein Blick auf das Imageplakat der Geprahl AG brachte den rettenden Geistesblitz.
    Natural Wellcome?, echote der Personalchef in gönnerhaftem Bass. Das passe ja hervorragend zu ihrem neuen Slogan, Wellcome to our own natural future! Händereibend machte er sich auf, um den Assistenten des Geschäftsführers für die neue Idee zu gewinnen, und Eva blieb mit dem Gefühl zurück, dass sie ihrer klugen Freundin doch irgendwie das Wasser reichen konnte. Zufrieden mit ihrem Tagewerk machte sie sich auf den Heimweg.

    Draußen vor der Drehtür kehrte ein Gärtner. Mit großer Ruhe sammelte er Sägespäne und Zweige und fügte sie zu einem Hügel. Auf der Pritsche seines Wagens ruhten schon die Äste.
    „Die Kehrseite der weißen Weihnacht“, sprach er zu Eva und nickte zu den Bäumen hin, die er geschnitten hatte. „Der prachtvolle Schnee ist den Ästen zu schwer geworden; die nicht biegsam genug waren, sind gebrochen.“ Aufmerksam sah er Eva ins Gesicht.
    Sie mochte ihn, den Gärtner Boskop. So manches Mal verweilte sie bei ihm, um über dies und das zu plaudern und seinen Adamsapfel hüpfen zu sehen. Auch hörte sie seine Stimme gern, die sich wie eine weiche Decke um sie legte. Nur diesmal fühlte Eva Scheu vor seinen gütiggrauen Augen. Sie wusste, er hatte ihre Wandlung bemerkt. Sie sehnte sich nach seinem Lob. Doch Boskop bückte sich und fischte aus dem Kehricht einen Zweig.
    „Den hat die weiße Pracht nicht knicken können. In längstens vierzehn Tagen wird er blühen, wenn Sie, in einer Vase, ihn ans Fenster stellen.“ Sacht blies er ein paar Späne von dem Reis und bot ihn Eva an. „Er ist von einer Zaubernuss.“
    Eva bedankte sich. Sie gab ihr Wort, und glaubte selbst daran, dass sie ihn hegen wolle und pflegen. Im Geist wählte sie schon die Vase und das Fenster, worin die Zaubernuss erblühen sollte.
    Dann machte sie sich auf den Weg.

    Als unbeugsame Optimistin

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