Ballast oder Eva lernt fliegen
Schönheits-Frondienst gekostet! Plötzlich sah sie glasklar wie recht Ariane hatte. Die Unterdrückung der Frauen basierte auf den von Männern lancierten Schönheitsidealen, die stets dergestalt waren, dass sie ohne aufwändige Kunstgriffe und einem Arsenal an Hilfsmitteln unerreichbar blieben. Und dabei ging es den Männern nicht einmal wirklich um Schönheit, womöglich gefielen ihnen die von ihnen selbst kreierten Barbiepuppen gar nicht. Nein, das Ganze war lediglich ein Machtinstrument. Die ahnungslosen Frauen wurden mit ihren eigenen Bemühungen um äußerliche Vollkommenheit geknebelt und diejenigen, die sich weigerten, die es vorzogen, ihre inneren Werte zu pflegen... Hier stockte Evas innerer Monolog. Diesen Teil der Kampfrede ihrer neuen Freundin hatte sie nicht richtig mitbekommen. Jedenfalls erging es den hässlichen Frauen besonders schlecht, da sie zu allem Überfluss auch noch mit Hohn und Spott behandelt wurden.
Eva glühte vor begeisterter Empörung. Ariane hatte ihr vorhergesagt, dass andere Frauen ihrem Beispiel folgen würden. Eva würde das große Vorbild, die Vorreiterin bei der Befreiung ihrer Kolleginnen sein. Sie hatte die Fesseln der Sklaverei abgeworfen und kein Mann würde es wagen, sie zu demütigen. Mit glänzenden Augen, in ihrer Ergriffenheit auf der Liege zerfließend, malte sie sich ihren Triumphzug durch den Betrieb aus, an ihrer Seite Bernd Liebig, der mit Bewunderung im Blick zu ihr aufsah.
Da keiner mehr da war, dem sie ihre Zeit und ihr Geld hätte opfern können, war es nur natürlich, dass Eva die frei gewordenen Ressourcen ganz für ihr eigenes Wohlbefinden verwandte. Und so entdeckte sie die Magie asiatisch angehauchter Wellness. Sie erkannte, wie wenig ihre bisherige, konzentriert bewegungsfreie Aktivität mit wahrer Meditation zu tun hatte und auch, dass Yoga mehr als nur mobilitätsfördernde Gymnastik war. Zum ersten Mal in ihrem postpubertären Leben verfügte Eva über wirklich freie Zeit. Und sie wusste sie zu nutzen.
Eva besuchte einen Yogakurs, brachte dort niemanden zur Verzweiflung und entdeckte, dass die sanfte, unaufgeregte Abfolge von An- und Entspannung sie weit mehr befriedigte, als durch Popmusik angepeitschte Problemzonengymnastik. Zumal sie inzwischen bei letzterer schon allein die Bezeichnung als frauenfeindlich erkannte. Bei jedem Wetter joggte sie sich in endorphingespülte Rauschzustände, danach genoss sie heiße Bäder ganz ohne Schaum, Salz und Co., trank Yogitees oder ließ in der Sauna ihr Haar schlapp über die Schultern hängen.
Zu ihrem ersten Date mit Bernd Liebig ging sie ausgeglichen und ohne jede Erwartungen. So wurde es für beide ein schöner Abend, dem noch viele folgen sollten. Eva war glücklich. Und sie war es in einer für sie völlig neuen, entspannten Weise, die es ihren Mitmenschen ermöglichte, trotz und bald sogar dank Evas Anwesenheit ebenfalls glücklich zu sein. Und alles war gut, soweit.
Ariane sollte mit ihren Prophezeiungen recht behalten. Ob nun Evas Vorbild oder des Personalchefs Rundschreiben den bis dahin allgegenwärtigen Kostümen den Garaus machte: Es zeigte sich, dass die bisherige Arbeitskleidung fast allen weiblichen Angestellten verhasst gewesen war, ob bewusst oder unterschwellig. Des Personalchefs vorsorgliche Einschränkungen wurden wörtlich genommen, und da jede die Bezeichnung ‚natürlich‘ ganz nach ihren eigenen Vorlieben interpretierte, war in den Fluren und Büros bald alles zu sehen, außer Turnschuhen, freien Bäuchen und nackten Beinen. Was möglicherweise an den frostigen Temperaturen draußen lag. Die Stimmung in den Abteilungen hob sich, weil die Damen zufriedener waren und die Herren daran erinnert wurden, dass sie mit Frauen aus Fleisch und Blut zusammenarbeiteten und, durch diese Erkenntnis angeregt, beschwingt und mit neuem Elan an die Arbeit gingen.
Schon nach wenigen Wochen machte der bis dahin ahnungslose Geschäftsführer anlässlich einer Abteilungsleitersitzung die überraschende Entdeckung, dass sich die Produktivität der Verwaltung seines Unternehmens sowohl qualitativ, als auch quantitativ verbessert hatte. Zugleich forderten mehrere Abteilungsleiter unabhängig voneinander, dass ihre weiblichen Angestellten anspruchsvollere und besser bezahlte Stellen erhalten sollten. Einer, der in wenigen Monaten in Rente gehen sollte, schlug gar eine Frau als seine Nachfolgerin vor. Der Geschäftsführer, von seinen Abteilungsleitern nicht gewohnt, dass sie über ihre
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