Ballast oder Eva lernt fliegen
Taille geschlungen hatte, und der fast denselben Kupferton aufwies wie ihr Haar, hatte sie von ihrer Reise mitgebracht. Es war der einzige Schmuck, den sie trug. Eva war froh an diesen greifbaren Erinnerungen an die herrlichen, gemeinsamen Tage, die ihr immer dann die schönen Seiten Chinas vor Augen führten, wenn der Gedanke an Tibet ihr das Lächeln vom Gesicht wischen wollte.
Ariane wollte den von Bernd herumgereichten Wein nicht annehmen und murmelte etwas von ihrem Magen, doch Bernd fegte den Einwand gutgelaunt hinweg: „Ach was, dem geht es gut“, widersprach er und drückte ihr eine der Puppentassen in die Hand. „Glaubst du, ich hätte nicht gesehen, wie du vorhin in der Küche genascht hast?“
Ariane nuschelte etwas von Tabletten und Alkohol, behielt aber resigniert ihre Tasse in der Hand. Worauf der treue Heinrich sofort zu ihr eilte und mit besorgtem Blick ihre Wange tätschelte. Auch er bekam eines der Tässchen, dann hob Bernd das seine in Evas Richtung. „Auf die faszinierendste Frau und das entzückendste Geburtstagskind diesseits des Himalaya!“
Eva sah ihm in die Augen und spürte die süße Wärme in Kehle und Brust, noch bevor sie ihren ersten Schluck nahm.
Heinrich setzte an, um den Trinkspruch mit Pathos zu wiederholen, zog sich einen scheelen Blick Arianes zu und verstummte, hochrot im Gesicht. Eva bemühte sich vergeblich, Demut zu empfinden. Sie nahm die Glückwünsche zu ihrem Einundvierzigsten mit der Haltung einer Königin entgegen, der das Volk zujubelt: Mit huldvollem Nicken und majestätischem Lächeln. Sie konnte nicht anders, denn genau so fühlte sie sich: Wie eine Königin.
„Jetzt pack doch endlich deine Geschenke aus!“, drängte Ariane und stellte ihre Tasse, aus der sie keinen Tropfen getrunken hatte, so ungeschickt ab, dass sich die Hälfte des Inhalts über den improvisierten Tisch ergoss. Sogleich kam ihr Heinrich mit einem Küchentuch zu Hilfe. Bernd zog ein streichholzschachtelgroßes Päckchen aus seiner Hosentasche und überreichte es Eva. Ein zierliches Schmuckdöschen kam unter dem Seidenpapier zum Vorschein. Eva klappte es auf und fand einen Cloisonné-Ring darin. Die Gelassenheit, mit der sie den ganzen Abend über gelächelt hatte, geriet ins Wanken. Bemüht zu verdrängen, dass dies kein Verlobungsring und Schmuck ohnehin nur eitler Tand war, küsste sie Bernd mit spitzen Lippen auf die Wange und säuselte: „Vielen Dank, mein Schatz. Er ist ganz wunderschön. Und er wird mich immer an unsere gemeinsame Woche in China erinnern.“
Um sich abzulenken trat sie auf Heinrich zu, der immer wieder nervös auf seine Uhr und die Küchentür schielte. „Auf dein Geschenk freue ich mich schon ganz besonders“, erklärte sie mit Nachdruck. „Es riecht geradezu verboten gut!“
„Oh, wirklich... Ich hoffe nur, du magst es auch. Die Tomaten, also zur Zeit gibt es einfach keine...“ Sein Gestammel ging in Evas Umarmung unter, die seine spärlich behaarte Stirn an ihre Wange drückte. Weiter hinauf reichte der kleine Heinrich nicht. Als sie ihn losließ brannte sein Gesicht. Amüsiert bemerkte sie seinen entschuldigenden Blick zu Ariane hin. Doch als sie deren wütende Miene bemerkte, wurde sie unsicher. In dem folgenden verlegenen Schweigen versuchte Heinrich vergeblich, seine verschmierte Brille an der schmutzigen Schürze zu säubern. „Ich glaube, die Vorspeise...“, nuschelte er und enteilte in die Küche.
Kurz darauf kam er mit einem dampfenden Blech zurück. Mit großem Ah und Oh wurden die überbackenen Austern begrüßt. Eva achtete darauf, ihrer Begeisterung diesmal mit weniger Körperkontakt Ausdruck zu verleihen. Ariane schien ihre Magenverstimmung vergessen zu haben und warf ihrem Küchenfaun verliebte Blicke zu, während Bernd mehrfach und laut erklärte, dass er noch niemals gebackene Austern gegessen habe, sondern immer nur die rohen, noch lebenden. Seine Versuche, das Thema ins Schlüpfrige abgleiten zu lassen, liefen ins Leere. Bald schon wandte sich das Gespräch dem fernen Osten zu.
Eva brannte darauf darauf, all ihre Erlebnisse zu schildern. Aber die Gelassenheit der buddhistischen Mönche hatte sie derart beeindruckt, dass sie beschlossen hatte, es ihnen gleich zu tun. Es war gar nicht so einfach, einen ganzen Abend lang milde zu lächeln, doch der Lama hatte ihr einen kleinen Trick beigebracht, wie sie auch in den nervenaufreibendsten Augenblicken zumindest nach außen hin gelassen wirken konnte. Augenzwinkernd (wie hatte sie dieses
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