Ballnacht in Colston Hall
Ball gewusst. Warum nur erschien ihr diese Aussicht seit jenem Tag nicht mehr nur unangenehm, sondern geradezu abstoßend?
Und immer, wenn sie an Sir Arthur dachte, hörte sie Ralph Latimers Stimme: “Tut es nicht. Er ist kein Mann für Euch.” Warum nur gingen ihr die Worte jenes abscheulichen Menschen nicht aus dem Sinn? Wollte er sie wirklich von diesem Schritt abhalten? Und aus welchem Grund? Ach, es war einfach nicht mehr zu ertragen.
Lydia erhob sich. “Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns zum Abendessen umziehen.”
“Aber du hast mir doch noch nicht geantwortet.” Annabelle wischte sich die Tränen ab. “Wirst du Sir Arthur sagen, dass du dich entschlossen hast, seinen Antrag anzunehmen?”
“Wenn er kommt, um mir diesen Antrag zu machen.”
“Ich glaube, er kommt nicht mehr. Du musst einen Weg finden, um mit ihm in Verbindung zu treten.”
“Das wird Mama schon machen.”
“Und wirst du ihr das heute Abend sagen?”
“Ja”, seufzte Lydia. “Aber du erwähnst mit keinem Wort ihr gegenüber jene hässlichen Gerüchte, hörst du? Und nun ziehe dich an.”
Dankbar küsste Annabelle die Schwester, bevor diese die Tür hinter sich schloss. In ihrem Zimmer setzte sich Lydia an ihren Toilettentisch und starrte in den Spiegel. “Ich bin zu blass”, murmelte sie, “und habe dunkle Ringe unter den Augen.”
Vorsichtig tippte sie auf die Stelle, wo die Kratzer gewesen waren. Sie waren gut verheilt, aber dennoch konnte sie sich immer noch vorstellen, wie damals die Zweige über ihr Gesicht scharrten. Noch viel eindringlicher jedoch war die Erinnerung an die festen Lippen, die ihren Mund so kraftvoll berührt hatten, und an die erregenden Gefühle, die dadurch in ihrem Körper ausgelöst wurden und bis heute nicht mehr verschwunden waren. Der Hass auf den Mann, der ihr das angetan hatte, wuchs dabei ins Grenzenlose.
Je eher sie Sir Arthur heiraten würde, desto besser.
Zwei Tage später fuhr Sir Arthur mit seiner pompösen Kutsche, die von zwei feurigen Pferden gezogen wurde, an dem Witwensitz vor. Diesmal blieb Lydia im Wohnzimmer, um den Gast zusammen mit ihrer Mutter zu empfangen. Er war wie immer makellos gekleidet, heute in Blau – Dunkelblau für Rock und Hose und helles Aquamarin für das Hemd und die Weste. Die neue Perücke saß sicher auf seinem schütteren Haar, selbst als er die Damen mit einer tiefen Verbeugung begrüßte.
Als die Erfrischungen serviert worden waren, drehte sich die Unterhaltung zunächst um das ungewöhnlich frühlingshafte Wetter, um den großen Erfolg des Siegesballes und um politische Neuigkeiten aus London. Schließlich räusperte sich Sir Arthur bedeutungsvoll.
“Mrs Fostyn”, begann er würdevoll, “ich komme auf Eure liebenswürdige Einladung zurück, weil ich annehme, dass sich Miss Lydia inzwischen entschieden …”
“Ja, das habe ich”, unterbrach Lydia ihn, die erwartet hatte, dass er sich direkt an sie wenden würde. Sie trug auf Wunsch ihrer Mutter ein schlichtes rosafarbenes Musselinkleid, um möglichst bescheiden zu wirken.
Sir Arthur wandte sich zu ihr um. “Nun, ich hingegen habe ernste Zweifel”, sagte er mit unbeweglicher Miene.
“Ihr habt Euch doch nicht etwa anders entschieden, Sir Arthur?”, fragte Mrs Fostyn besorgt.
“Nun, ich habe Gerüchte gehört, sehr beunruhigende Gerüchte, und bin nun, um ehrlich zu sein … unentschlossen.”
Lydia öffnete den Mund, um zu antworten, schloss ihn jedoch auf einen Blick ihrer Mutter hin sofort wieder.
“Erzählt uns doch von diesen Gerüchten, Sir Arthur”, sagte die Mutter freundlich.
“Ich fürchte, es wird mir unmöglich sein, sie zu wiederholen.”
“Wenn sie sich auf mich beziehen, wie ich annehme, dann müsst Ihr es aber tun, damit ich sie widerlegen kann. Das ist doch nur recht und billig.”
“Wenn Ihr es so seht … also gut, Madam.” Sir Arthur hob resigniert die Schulter. “Man sagt, Ihr und der Earl of Blackwater, ich meine natürlich den verstorbenen Earl, wäret … hmmm …” Verwirrt hielt er inne.
“… ein Liebespaar gewesen?” ergänzte die Mutter lächelnd. “Ihr braucht keine Bedenken zu haben, das Wort auszusprechen, Sir Arthur.”
Der Gast senkte bejahend den Kopf. “In der Tat. Und Euer Gemahl habe es entdeckt und sich rächen wollen. Aber in dem Durcheinander sei er es gewesen, der zu Tode kam.”
“Ja, mein geliebter Mann starb an jenem unheilvollen Tage. Aber nicht aus dem Grund, den die Schwätzer sich ausgedacht haben. Ich bin
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