Ballnacht in Colston Hall
gern bereit, Euch die ganze Geschichte zu erzählen, denn es gibt nichts, dessen ich mich schämen müsste.”
Lydia bewunderte die Ruhe, mit welcher die Mutter dieses Thema behandelte, und legte ihr liebevoll die Hand auf den Arm. “Mama, du musst nicht …”
“Nein, ich muss nicht. Aber Sir Arthur hat ein Recht, die Wahrheit zu erfahren.” In großen Zügen zeichnete sie das unheilvolle Ereignis auf, das vor zehn Jahren hier ganz in der Nähe stattgefunden hatte, und schloss seufzend: “Es war ein tragischer Unfall, Sir Arthur – nicht mehr und nicht weniger.”
“Und danach?” wollte Sir Arthur wissen.
“Danach?” wiederholte die Mutter erstaunt.
“Nun, Eure Besuche bei dem Earl.”
“Ihr meint meine Besuche bei der Countess? Wir hatten beide unsere Söhne in die Fremde schicken müssen und konnten einander Trost geben. Sie, die arme Lady, war noch dünnhäutiger als ich und ließ mich immer rufen, wenn sie des Zuspruchs bedurfte. Könnt Ihr das nicht verstehen? Wir haben keinerlei Groll gegeneinander gehegt.”
“Und der neue Earl? Hadert er noch mit Euch?”
“Nein”, erwiderte die Mutter fest, während sich Lydia hastig auf die Lippe biss.
“Miss Fostyn scheint davon nicht so überzeugt zu sein”, stellte Sir Arthur lächelnd fest.
Lydia holte tief Luft. “Die Vergangenheit ist vergangen, Sir Arthur. Wir können sie nicht mehr ändern und müssen nun nach vorn schauen.”
“Gewiss, gewiss … gemeinsam nach vorn schauen?”, fügte er mit einem vielsagenden Gesichtsausdruck hinzu.
Lydia neigte den Kopf, legte den geschlossenen Fächer auf den Schoß und wünschte, alles wäre ganz schnell vorüber. Aber es würde ja nie vorüber sein. Heute – das war doch nur der Anfang.
“Wenn es Euer Wunsch ist”, murmelte sie.
“Ist es denn Euer Wunsch?”
Wieder rang Lydia sekundenlang nach Luft. “Ja, Sir, er ist es.”
Sir Arthur nahm ihre Hand. Sie war feucht und rief einen Schauder bei Lydia hervor. “Nun, dann wollen wir die Vergangenheit vergessen. Ich frage Euch nun hiermit offiziell, ob Ihr meine Frau werden wollt.”
Jetzt war der Augenblick gekommen, um der ganzen Sache Einhalt zu gebieten und zu sagen: “Nein, nein und tausend Mal nein!” Es war die letzte Chance. Aber alle Ausflüchte hatten nichts genützt, alle Argumente und Zweifel waren ausgeräumt worden – und diese ruhige warnende Stimme musste endlich zum Schweigen gebracht werden.
“Ja, Sir Arthur, ich will Eure Frau werden.” Lydia blickte fest in seine fahlblauen Augen und fügte hinzu: “Entsprechend der Vereinbarung mit meiner Mutter unter folgenden Voraussetzungen: ein Heim für meine Mutter, eine Schulausbildung für meinen Bruder und eine Mitgift für meine Schwester.”
Befriedigt lehnte sich Sir Arthur zurück, und sein Lächeln verwandelte sich in ein Schmunzeln. “Ihr kommt mich sehr teuer, Miss Fostyn. Aber man hat mir erklärt, dass Ihr es wert seid.”
“Sie wird Euch eine pflichtbewusste Frau sein”, versicherte die Mutter.
“Nun, je eher, desto besser. Sagen wir also: heute in drei Wochen?”
Lydia warf einen Hilfe flehenden Blick auf ihre Mutter, die ihr beruhigend zunickte.
“Ich denke, wir werden mindestens drei Monate für die Vorbereitungen brauchen, Sir Arthur. Es gibt ja noch so viel zu tun: das Brautkleid muss genäht und die Hochzeitsfeier arrangiert werden. Außerdem muss ich mich zuvor an meinen Schwager, Lord Fostyn, wenden. Er ist das Oberhaupt der Familie, und die Höflichkeit erfordert es, ihn um Erlaubnis zu bitten.”
Sir Arthur wiegte den Kopf. “Lasst uns doch einen Kompromiss machen”, schlug er vor. “Wie wäre es mit der zweiten Maiwoche? Das ist doch eine reizende Zeit zum Heiraten, nicht wahr?”
“Ich bin einverstanden, Sir Arthur”, erwiderte Lydia ruhig. Sie hatte eingewilligt, ihn zu heiraten, weshalb also sollte sie das Unvermeidliche endlos hinausschieben. Ach, wenn es doch nur ihr Regenschirmmann wäre! Aber ihr glücklicher Traum war ja so grausam zerstört worden. Warum nur musste der Fremde sich als Ralph Latimer erweisen? Hatte sie denn so viel Schlechtes getan, dass sie für den Rest ihres Lebens diese Strafe erdulden musste?
“Wir werden die bevorstehende Hochzeit auf einer Abendgesellschaft bekannt geben, die ich nächste Woche zu geben beabsichtige”, wandte sich Sir Arthur nun wieder an Mrs Fostyn. “Gibt es irgendjemanden, den Ihr dazu einzuladen wünscht? Ich werde selbstverständlich alle örtlichen Würdenträger und das,
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