Balthazar: Roman (German Edition)
Herz. Seine Lunge versagt, und vor seinen Augen beginnt alles zu verschwimmen. Einen Moment lang hat er einen metallischen Geschmack im Mund, als ob er von einem Blitz getroffen worden wäre. Sein Herz , denkt er. Es gibt nichts Unheimlicheres, als zu spüren, dass eine Zeitbombe in der eigenen Brust tickt und dass jemand gerade eben auf den Zünder gedrückt hat.
»Skye!« Balthazar hatte sie bei den Schultern gepackt und schüttelte sie in dem Versuch, sie aus ihrer Vision zu holen. Aber dieses Mal wehrte Skye sich dagegen. Anstatt gegen die Bilder anzukämpfen, wie sie es sonst immer getan hatte, stieß sie den Atem aus und ließ sich vollkommen auf sie ein. Es war, wie in einem Fluss zu schwimmen und zuzulassen, dass einen die Strömung unter Wasser riss. Sie fügte sich.
Der Schmerz umfängt ihn wie ein Schraubstock, der sich immer fester und fester zusammenpresst. Seine Zunge fühlt sich dick in seinem Mund an, seine Augen sind zu groß für ihre Höhlen. Es gibt keinen schlimmeren Schmerz als diesen. Es kann keinen geben. Jede Zelle in seinem Körper schreit nach Luft, verzehrt sich selbst.
Vage bekam Skye mit, dass sie zusammenbrach. Balthazar fing sie auf und presste sie an seine Brust. Er sagte etwas, flehte sie an, aber seine Stimme kam von zu weit her, als dass sie sich noch darum gekümmert hätte.
Der Schmerz wird immer stärker und stärker, bis er unerträglich und jenseits aller Vorstellung ist.
Alles stülpt sich von innen nach außen.
Die Zellen hören auf zu schreien. Sie brauchen nun keine Luft mehr und auch kein Blut. Sie brauchen gar nichts mehr. Der Hausmeister ist so, wie er jetzt ist, vollkommen. Er hat losgelassen, und der Schmerz ist versiegt. Es gibt nichts Freudvolleres, als aufzugeben. Die Zufriedenheit, die er im Tod seines menschlichen Körpers empfindet, ist die gleiche, die er früher verspürte, wenn er sich in eine sehr weiche Decke hüllte: warm und schützend und doch kein wirklicher Teil seiner selbst.
Und das macht es leicht, die Decke wieder abzuwerfen …
Skye schlug die Augen auf. Sie lag mit angezogenen Beinen gegen Balthazar gestützt auf dem Boden. Balthazar rief immer wieder: »Bleib bei mir, bleib bei mir, bleib … Skye?«
»Hmm.« Sie atmete ein, und die schiere Bewegung der Luft in ihrer Lunge war unaussprechlich süß. Das Leben ist unersetzlich , hatte Balthazar gesagt, und sie hatte das Gefühl, dass sie nun ein wenig zu begreifen begann, was er damit gemeint hatte.
»Wir müssen dich hier rausbringen. Das ist zu viel für dich.«
»Es ist vorbei.« Zitternd hustete sie – wie konnte es sein, dass sich selbst das gut anfühlte? Sie spürte, wie ihr das Blut überall im Körper durch die Adern strömte. Der silberhelle Klang ihres Nervensystems erinnerte an eine laute Zither. »Ich bin wieder okay.«
Und das wird von jetzt an auch so bleiben , dachte sie. Allerdings wusste sie, dass sich nicht sagen ließe, was die anderen Sterbeszenen mit ihr machen würden. Sie konnte sich nicht einmal vorstellen, in die Schlachtfeld-Senke zurückzukehren. Instinktiv war sie sich jedoch sicher, dass ihr dieser Tod und dieser Raum nicht mehr zu schaffen machen würden, sollte sie wieder einmal hierherkommen.
»Vor einer Minute warst du noch alles andere als okay«, sagte Balthazar nachdrücklich. Er hielt sie noch immer eng an sich gepresst, und sie bemerkte, dass er ihr mit einer Hand übers Haar streichelte.
Skye wich vor dieser Berührung zurück. Einen kurzen Augenblick lang wurde ihr von der schnellen Bewegung schwindelig. Balthazar schien sich plötzlich ebenfalls bewusst zu werden, was er tat, ließ Skye los und rückte auf dem Boden von ihr weg.
Skye sagte: »Ich meine es ernst: Der Trick ist … Der Trick ist, sich darauf einzulassen.«
»Sich darauf einzulassen?«
»Sich aufs Sterben einzulassen.«
Balthazar legte seine breite Stirn in Falten. »Es klingt wie gar keine gute Idee, sich aufs Sterben einzulassen. Das scheint mir nie klug, und in dieser Situation ganz besonders nicht.«
»Ich weiß, wie es klingt. Aber irgendwie … irgendwie habe ich genau das Richtige getan.« Skye stützte sich auf einen der Tische, als sie zitternd aufstand. »Beim nächsten Mal weiß ich besser, was zu tun ist. Es kann mir nichts mehr anhaben.«
»Mir gefällt gar nicht, was ich da höre.«
Skye zuckte mit den Schultern. »Es geht dich nichts an, und es ist egal, ob es dir gefällt oder nicht.«
»Skye, müssen wir wirklich so …«
»Mit uns ist alles in
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