Bamberger Verrat
ihm deine Nummer.«
Sie schaltete ihr Handy aus und hastete in den Seminarraum. FünfunddreiÃig Augenpaare richteten sich auf sie.
»Guten Morgen«, sagte Hanna. »Entschuldigen Sie meine Verspätung. Heute ist einfach der Wurm drin.«
Dann wandte sie sich an einen Studenten in der ersten Reihe und gab ihm den Schlüssel für die Schaltanlage des Beamers und ihren Laptop.
»Könnten Sie bitte schon mal den Laptop anschlieÃen? Ich muss noch rasch etwas erledigen.«
DrauÃen vor der Tür wählte sie Bennos Amtsnummer. Sein Strahlen war durchs Telefon zu hören.
»Hanna! Wie schön, dass du anrufst!«
»Benno, ich ⦠Entschuldige, aber ich bin furchtbar in Eile. Ich soll dir nur sagen ⦠Tante Kunigunde hat mich gebeten, dir zu sagen, dass du sie anrufen sollst.«
»Tante Kunigunde? Ich soll Tante Kunigunde anrufen?«
Seine Stimme klang, als wäre sie von sehr weit oben heruntergefallen.
»Ja, bitte«, sagte sie verzweifelt. »Sonst hätte ich dich nicht angerufen, nicht jetzt â¦Â«
»Hanna, wir â¦Â«
»Hast du was zum Schreiben?«
»Ja.«
Hanna diktierte Benno die Nummer. »Entschuldige, aber ich muss jetzt â¦Â«
»Hanna, wir müssen reden. Wir â¦Â«
»Später, Benno.«
31
Benno saà da und malte Kreise, Kreise mit einem Punkt in der Mitte, Kreis, Punkt, Kreis, Punkt, lauter kleine angestochene Seifenblasen.
»Sonst hätte ich nicht angerufen«, hatte sie gesagt. Sie hätte ihn nicht angerufen, wenn Tante Kunigunde sie nicht darum gebeten hätte! Beim nächsten Punkt durchbohrte der Bleistift das Papier.
Benno warf ihn weg und stützte den Kopf in die Hände. Aber andererseits ⦠andererseits hatte sie gesagt »später«, das hieà doch, dass sie mit ihm reden wollte. Sie hatte nicht gesagt »auf keinen Fall« oder »lass mich in Ruhe«.
»Später«, hatte sie gesagt, »später.«
Der Himmel sah schon ein bisschen heller aus.
Ach ja, Tante Kunigunde. Schon merkwürdig. Sie telefonierten sonst so gut wie nie miteinander, höchstens einmal wegen eines Geburtstagsgeschenks für Hanna oder so. Hoffentlich hatte er die Nummer richtig aufgeschrieben. Er tippte die Zahlen ein.
»Benno! Gott sei Dank, dass du anrufst!«
»Hallo, Kunigunde.« Sie hatte ihn gebeten, die »Tante« wegzulassen, als sie ihm einst das Du angeboten hatte.
»Was gibtâs?«
»Ach Benno, du musst mir helfen. Ich bin schon völlig durch den Wind. Ich hab so ein ungutes Gefühl. Also, es ist so ⦠Wie erklär ich das denn nur kurz? Hat dir Hanna von meiner Masterarbeit erzählt, worum es da geht?«
»Nun ja, irgendwas mit dem Eisernen Vorhang, mit Schicksalen an der innerdeutschen Grenze, nicht wahr?«
»Ein Schicksal, eines. Das war so: ⦠Grenzoffizier ⦠in den Westen geflohen und ⦠dafür zum Tod verurteilt.«
»Aber das kann doch nicht sein, Kunigunde, bei uns gibt es seit 1949 keine Todesstrafe mehr.«
»Nein ⦠nicht hier ⦠als er in die DDR zurückging.«
»Er wurde zum Tod verurteilt, weil er in die DDR zurückging?«
»Nein! Ach, ist ja egal. Entscheidend ⦠durch Verrat seines Freundes ⦠Dafür hat seine Tochter ihm Rache ⦠hat mir ihre Schwester heute früh erzählt.«
»Hmm? Wessen Tochter? Und was für eine Schwester? Sag mal, wo bist du denn? Die Verbindung ist furchtbar schlecht, ich verstehe nur jedes dritte Wort.«
»â¦Â im Zug ⦠Tochter von Franz Novak, Rita Gers⦠durch meine Schuld erfahren, dass Verräter in Bamberg lebt ⦠im Gefängnis sicher, aber wenn ihm was passiert ⦠ich schuld. Oh Gott, mein Handy ist gleich zu Ende. Hörst du mich noch?«
»Ja, aber was soll ich denn jetzt tun?«
»Du könntest ⦠ob mit dem Gefangenen alles â¦Â«
»Mit welchem Gefangenen denn?«
»Hans Kromm, hab ich doch gesagt. Könntest du dafür sorgen, dass auf ihn besonders aufgepasst wird?«
Bei dem Namen »Hans Kromm« wurde Benno plötzlich sehr aufmerksam.
»Hör zu, Kunigunde. Wenn du in Bamberg ankommst, fahr sofort in die SchildstraÃe zur Polizeiinspektion und erzähl Werner Sinz deine Geschichte. Er soll mich verständigen, sobald du da bist. Er ist zuständig für den
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