Banatsko (German Edition)
war. Sie wickelte es aus und reichte es dem Mann. Kerrsz?, sagte sie auf Ungarisch, willst du?, das Wort kam kurz und borstig aus ihrem Mund, der Mann nahm das Brot, weißes Brot mit lappigem Fleisch dazwischen. Er aß in großen Bissen, zwischendurch sprachen sie etwas. Sie sprachen nur in kurzen Worten, von denen jedes rau und stachlig klang, als müsste es in der Kehle kratzen, sie stießen sich die Worte zu, schnellten sie aus dem Mund, die Worte hatten eine kurze Reise, dann erloschen sie. Die Frau zog immer weiter Butterbrote aus der Tasche und reichte sie dem Mann, kerrsz?, sagte sie immer wieder, willst?, willst?, willst?, und der Mann aß, klein und braungekleidet, ältlich und etwas muffig riechend, kaute er und kaute, zwischendurch liebkosten sie einander um Knie, Schenkel und Waden, nie an anderen Körperteilen. Nur der schmächtige Mann kaute und schluckte, die Frau reichte, gehorsam nahm er ein Fleischbrot nach dem anderen entgegen, sagte nicht ja oder danke auf ihre Fragen, nahm nur, er wischte sich die Finger nach dem letzten Brot, als der Zug in Jimbolia eintraf, die Krakel lagen jetzt müde über einem Streifen Ödland, Gleise, Schotter, Reste eines Pflasterwegs, Unkraut zwischen den Steinen, eine Fabrik, oder ein Silo. Alle stiegen aus, hier war die serbische Grenze, jedermann in diesem Zug aber wollte nur nach Jimbolia, suchte dort womöglich ein gewisses Glück. Am Bahnsteig, unter dem Bahnhofsvordach saßen Jugendliche auf der Bank, bunte Kinder in dünnen Hemdchen und dicken Stiefeln, sie waren ganz mit sich beschäftigt, wollten auch in keinen Zug steigen, wollten nur an diesem Fort-Ort sitzen und sich die Schönheit ausmalen, die sich ihrer bemächtigen würde, sollten sie sich eines Tages von dieser Bank, diesem Bahnsteig, diesem Anblick grenzwärtiger Gleise reißen und mit einem Zug an einen großen, gänzlich anderen Ort verschlagen lassen, sie alle miteinander.
Vor Jahrzehnten lag Jimbolia auf der Strecke des Orient Express. Er traf im Dunkeln ein, Licht fiel aus den Waggonfenstern auf die gefegten Bahnsteige, Villen dämmerten im Hinterland der Gleise, wo jetzt blassfarbene Wohnblocks stehen, auf dem Vorplatz des Bahnhofs polierte Automobile, womöglich taumelten unglücklich Verliebte aus dem Zug und über regennasses Pflaster den Corso hinab, auf den Stadtpark zu. Das war zwischen den Kriegen, eine Vergangenheit, der in Zahlen gedacht wird oder in der wackligen Stimme eines Greises, der bei der Erinnerung an den Orientexpress aus seiner Vorgartenmüdigkeit erwacht. Jimbolia gehörte mal hierhin, mal dorthin im grauen grenzländlichen Treibsand der Ebene, mit den Zugehörigkeiten änderten sich die Farben der Fahnen und die Musik der uniformierten Kapellen, aber nicht der Staubgeruch in Polstern und Vorhängen hinter selten geöffneten Fenstern, die kleinen Liebschaften und Hoffnungen, die am Anblick des Horizonts rasch ermüden und sich vom sanften Licht der Erinnerung einen größeren, steteren Glanz versprechen als von einem auch noch so kurzen Zusammenstoß mit einer Erfüllung.
Ein flacher Pferdewagen hielt vor einer Gasthausterrasse. Vier Zigeuner luden Betonbrocken von dem Grünstreifen längs der Straße auf den ächzenden Wagen. Sie arbeiteten langsam, verzogen die Gesichter unter dem Gewicht der Brocken. Dann wurde das Pferdchen zur Weiterfahrt gelockt, beschnalzt, getrieben, bis es sich in Bewegung setzte, die Zigeuner schwangen sich auf die Trümmer. Der Wagen schwankte, quietschte, rollte, verschwand. Die langen geraden Alleen, die von Jimbolia aus ins Land führen, nach Grabaţ, Carpinis und Comloşu Mare, waren voll von diesen flachen Pferdewagen, die Kutscher blickten nachlässig, die Pferde trotteten an den tiefen Schlaglöchern vorbei. Särge nennt man diese Wagen, hörte ich.
Es war ein farbloser Samstagmittag unter schwerem Himmel, die lanzenblättrigen Grünpflanzen im Blumengeschäft wurden zum Wochenende im Eingang hinter der Glastür zusammengerückt, da sollte der gelegentliche Passant sie durch die verschlossene Pforte betrachten und begehren können. Junge Männer strichen sich über die kurzgeschorenen Schädel, die Mädchen waren blond, trugen pastellfarbene Sommerkleidung, sie lungerten in verstohlener Paarhaftigkeit überall, schwenkten Getränkebüchsen, warfen sich Rufe zu, äugten. Hier gedieh das kleine Leben der verschlafenen Lust, die sich aus den vielen bröckelnden, blätternden, schwankenden, dämmernden Schichten der Kleinstadt nährte, in
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