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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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hier warten auf irgendetwas, seit Jahrhunderten. Auf die Liebe, auf den Tod, auf einander, auf den Krieg, auf das nächste Hochwasser, auf die Fähre. Hier ist ein Warteland. Die Frau an der Theke wartet auf den Sommer. Ich warte auf meinen Hund. Unterdessen wird es Abend, Tag für Tag.
    Der Hund kam. Der Mann streichelte ihn und sprach ihm leise gute Worte zu, der Hund legte sich ihm zu Füßen.
    Das Warten ist wie eine Krankheit unserer Gegend, fuhr der Mann fort. Je mehr man wartet, desto unbeweglicher wird man. Man starrt immerzu in ungewisse Ferne, und sieht die nächsten Steine nicht mehr, über die man stolpert. Warten macht blind.
    Er bewegte die Hand, als wollte er winken, obwohl er ganz nah bei mir stand, dann ging er mit dem Hund fort.
    Wo geht es zur Fähre?, fragte ich die Frau an der Theke.
    Zuerst zuckte sie mit den Schultern, dann versuchte sie, den Weg zu beschreiben.
    Er hat nicht recht, sagte sie mir, als ich aufbrechen wollte. Es ist nicht das Warten. Es ist wegen dem Fluss. Vielleicht führt er ein Gift. Das Hüben- und Drübengift. Immer wieder zerrt man Tote aus dem Ufergehölz, wo sie sich verheddert haben. Niemand hat sie sterben sehen. Sie sollen einfach so aus ihrem Leben in den Fluss gefallen sein. Glauben Sie das?
    Das Gesicht der Frau blieb bei dieser kleinen Rede fast ungerührt, ich hörte nur, wie kalt ihr war, ihre Zähne klapperten leise.
    Kein Schild zeigte zur Fähre, doch der Fluss ließ sich ahnen, der Deich stieg hinter Schilfwiesen an, die Kronen des Uferwalds ragten über der Deichkrone auf. Eine Kneipe stand gelb am Deichweg, umgeben von hohen Bäumen. ›Tisza Csarda čarda na Tisi‹ hatte man in großen einfachen dunkelroten Druckbuchstaben auf die Wand geschrieben. Neben der Kneipe führte der Weg zur Fähre hinab.
    Zwei Männer bedienten die Fähre. Einer legte an und ab, der andere kassierte. Ich fuhr auf die Fähre, hinter mir ein Traktor, eine blonde Frau steuerte ihn. Traktoristka , dachte ich, ein altes Wort. Die Männer winkten den Traktor mit großen Gebärden und lauten Rufen auf die richtige Bahn. Die Fähre legte ab, ein Zigeuner kam die Zufahrt herabgeradelt, winkte, die Fähre glitt zurück, die Klappe fiel wieder auf den Steg. Dahinter stieg der Damm so steil an, dass man darüber nur den Himmel sah. Der Zigeuner keuchte, außer Atem.
    Zu beiden Seiten war der Fluss von dichtem Wald und Gesträuch gesäumt. Die Wasserfläche lag glatt, rosigsilbern spiegelte sich der Himmel. Auf der anderen Seite wartete eine Traube Menschen, sie kamen von der Arbeit in Ada. Der Kassierer plauderte in Ungarisch, wir sprechen hier alle nur ungarisch, sagte er zu mir, doch ich wusste, dass das nicht stimmte.

DIE FISCHSUPPE
    Wir lebten auf der anderen Seite der Tisa, zwischen Ada und Mol. Meine Mutter kam von dieser Seite, vom Ufer der kleinen Zlatica, das ist die Goldene. Sie sprach wenig und kein Ungarisch. Mein Vater nannte sie drágica, dann musste sie lachen, das ist serbisch, sagte sie.
    Nein, schwor mein Vater, es ist ein ungarisches Wort.
    Das haben die Ungarn gestohlen, sagte sie dann.
    Mein Vater war Fährmann. Vom Morgen- bis zum Abenddämmer fuhr die Fähre von Ada hin und her. Niemand verstand sich so aufs Anlegen, Vertäuen und Festzurren der Fähre wie mein Vater. Die Bauern brachten ihre Ziegen, Kühe und Pferde von der einen Seite zur anderen, sie verkauften und kauften auf dem Markt von Ada, und in der Fährenkneipe ging es hoch her. Es setzten auch Autos über, kleine, hellblaue und senfgelbe Autos mit lauten Motoren, und junge Männer mit Mopeds. Manchmal gab es Schlägereien in der Kneipe, das sind immer die Mopedfahrer, sagten die Leute, aber das stimmte nicht.
    Mein Vater liebte den Fluss. Nur dich lieb ich mehr!, sang er für meine Mutter.
    Mein Vater liebte auch Fischsuppe, und meine Mutter kochte sie auf ihre Art. Die Suppe war sehr gut und erlangte sogar eine Art Berühmtheit in unserem Dorf. Trotzdem kam es immer wieder vor, dass eine Nachbarin oder sogar mein Vater sagte: das gehört nicht in unsere Echte Fischsuppe, oder: Unsere Echte Fischsuppe macht man doch mit der Soundso Paprika und nicht mit dieser. Meine Mutter zuckte nur mit den Schultern.
    Eines Tages kam mein Vater nicht nach Hause. Wir saßen die ganze Nacht am Küchentisch und sagten kein Wort, wir warteten nur. Auch am nächsten Tag kam er nicht nach Hause. Meine Mutter suchte ihn und fand ihn nicht, dann schickte sie mich zur Polizei. Ein Polizist kam zu uns, stellte Fragen, ging

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