Band 6 - Blutnacht
ich habe ihr Kommen und Gehen in der ersten Woche genau beobachtet, und ich schätze, dass sie mindestens schon seit drei Monaten da war.«
Ich nickte langsam. Heute lernte ich eine Menge. Nichts davon angenehm. »Du bist ein guter Lügner«, meinte ich dann, und Keasley lachte.
»War ich mal.«
Lügner, dachte ich und meine Gedanken wanderten zu Trent. »Ahm, ist Ceri schon auf? Ich müsste mit ihr reden.«
Keasley drehte sich, um mich direkt anzuschauen. In seinen müden Augen lag tiefe Erleichterung. Ich hatte sein Geheimnis herausgefunden und ihn damit von der Pflicht befreit, mich anzulügen. Aber ich glaubte, dass er am dankbarsten war, weil ich deswegen nicht weniger von ihm hielt.
»Ich glaube, sie schläft noch«, antwortete er und lächelte mich an, um mir zu zeigen, wie froh er war, dass ich immer noch seine Freundin sein wol te. »Sie war in letzter Zeit oft müde.«
Darauf wette ich. Ich lächelte zurück, stand auf und zog meine Jeans zurecht. Ich war schon lange davon ausgegangen, dass Ivy vor mir eingezogen war, und nur so getan hatte, als zöge sie am selben Tag ein, um meinen Argwohn zu beschwichtigen. Jetzt, wo ich die Wahrheit wusste, würde ich Ivy viel eicht mit dem Wissen konfrontieren. Viel eicht. Es war nicht automatisch wichtig -
ich verstand ihre Gründe, und das war genug. Manchmal sol te man schlafende Vamps nicht wecken.
Ich streckte eine Hand aus, um Keasley auf die Füße zu helfen. »Würdest du Ceri sagen, dass sie mal vorbeischauen sol ?«, fragte ich, während ich seinen Arm festhielt, bis ich mir sicher war, dass er fest stand.
Die Verandatür quietschte und mein Kopf schoss herum.
Ceri stand hinter der geschlossenen Fliegentür, in einem Shirtkleid, dass sie wirken ließ wie eine junge Ehefrau aus den sechziger Jahren. Ein Chaos von Gefühlen traf mich, als ich ihre traurige, schuldige Körperhaltung sah. Sie sah nicht schwanger aus. Sie sah besorgt aus.
»Hat Jenks dich geweckt?«, fragte ich zur Begrüßung, weil mir einfach nichts anderes einfiel.
Sie schüttelte mit verschränkten Armen den Kopf. Ihr langes, fast durchsichtiges Haar trug sie in einem Zopf, der so kompliziert geflochten war, dass man dafür mindestens zwei Pixies brauchte. Selbst durch das Fliegengitter konnte ich sehen, dass sie bleich war, ihre grünen Augen weit aufgerissen und ihr Kinn trotzig gehoben hatte. Obwohl sie winzig und zerbrechlich war, war ihr Geist doch unverwüstlich und stark, gestärkt durch tausend Jahre als Dämonenvertrauter. Elfen lebten nicht länger als Hexen, aber ihr Alterungsprozess hatte in dem Moment pausiert, in dem AI sie ergriffen hatte. Meine Vermutung war, dass sie zu dieser Zeit ungefähr Mitte dreißig gewesen war. Sie war wie üblich barfuß, und ihr Kleid war überwiegend purpurn und golden. Das waren die Farben, die sie bei AI getragen hatte, aber ich musste zugeben, dass dieses Kleid kein Bal kleid war.
»Komm rein«, sagte sie leise und verschwand ins Innere des dunklen Hauses.
Ich schaute zu Keasley. Er wirkte gleichzeitig wachsam und vorsichtig. Offenbar hatte er meine Anspannung erkannt und auch die Scham, die sie hinter ihrer Verteidigungshaltung versteckte. Oder viel eicht war es auch Schuld.
»Geh nur«, meinte er, als wol te er, dass wir es hinter uns brachten, damit er erfuhr, worum es ging.
Ich verließ ihn und ging die Stufen hinauf. Meine Spannung ließ ein wenig nach, als mich der Schutz des Hauses umgab. Ich ging nicht davon aus, dass sie es ihm schon erzählt hatte - was hieß, dass ich Schuld gesehen hatte.
Die Fliegentür quietschte, und jetzt, wo ich Keasleys Vergangenheit kannte, ging ich davon aus, dass die mangelnde Ölung Absicht war. Der Geruch von Rotholz stieg mir in die Nase, als ich dem Geräusch ihrer leiser werdenden Schritte den niedrigen Flur entlang folgte, am vorderen Zimmer vorbei und auch an der Küche und al en anderen Räumen, bis nach ganz hinten in das tiefer liegende Wohnzimmer, das irgendwann angebaut worden war.
Das ältere Haus dämpfte die Geräusche von draußen. Ich stand in der Mitte des hinteren Wohnzimmers. Ich war mir sicher, dass sie hier hineingegangen war. Meine Augen wanderten über die Veränderungen, die sie vorgenommen hatte, seitdem sie eingezogen war: auf den Fensterbänken standen Astern in Weckgläsern und auf den Armen der Couch lebende Pflanzen, die sie als Sonderangebote gekauft und gepflegt hatte, bis sie wieder blühten. Ausgeblichene Kissen und Stoffstreifen verbargen die alten
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