Bann der Ewigkeit: Roman (German Edition)
der Nähe läutete eine Glocke; eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen; Schritte entfernten sich leise.
Isadora ging zur hinteren Treppe. Aus der Küche hallte Geschirrklappern und Lachen herauf. Unten blieb Isadora im Schatten vor der Tür stehen und hielt den Atem an. Es war so weit. Zeit herauszufinden, ob die Parzen sie für würdig hielten, die Krone zu übernehmen, oder nicht.
Sie schritt in die Küche. Drei Köchinnen füllten dampfendes Fleisch und Kartoffeln auf Teller. Eine Handvoll Bediensteter befüllte Gläser und sortierte Besteck. Tellerwäscher standen an den großen Spülbecken, wo sie Töpfe, Pfannen und andere Kochutensilien abwuschen. An dem langen Holztisch auf der anderen Seite des Raumes saßen sechs Wachen, die Pause machten, Geschichten erzählten, lachten und sich das Essen reinschaufelten.
Keiner blickte in ihre Richtung.
Den Atem anhaltend, schlich sie auf die Hintertür zu, vorbei an Cookie, der dienstältesten Köchin. Immer noch beachtete sie niemand. Sie umfasste den Türknauf und zog vorsichtig. Hinter ihr rief jemand: »Wer hat die Tür nicht verriegelt? Der Wind hat sie aufgedrückt!«
Bevor einer der anderen herbeieilen und sie wieder schließen konnte, schlüpfte Isadora durch die schmale Öffnung. Im nächsten Moment wurde die Tür hinter ihr zugeworfen. Genüsslich atmete Isadora die frische Abendluft ein und konnte nicht umhin, zu lächeln.
Sie hatte es geschafft. Sie war draußen, und keiner hatte etwas bemerkt.
Mit wachsender Zuversicht schritt sie an den vier Wachen am Haupttor vorbei, ohne sich umzusehen, und lief weiter, bis sie die Straße unten am Hügel erreichte, von wo aus sie auf die Stadt Tiyrns sah.
Hohe Marmorbauten ragten aus dem Zentrum auf, umkränzt von kleineren Wohnvierteln, die sich bis zur Burganlage erstreckten. Die meisten Läden und Geschäfte waren schon geschlossen, doch obwohl Isadora sich problemlos in das Viertel teleportieren könnte, in das sie wollte, kostete sie es lieber aus, dass sie unbemerkt durch die Stadt schlendern konnte.
Niemand sah sie, die künftige Königin von Argolea, die sich außerhalb der Burgmauern bewegte. Jenseits der strengen Kontrolle ihres Vaters und weit weg von allem, was sie langsam umbrachte.
Trödel nicht, Isadora.
Genau, das dürfte sie nicht, denn bliebe sie zu lange fort, würde es jemandem auffallen, und dann wäre die Hölle los.
Sie rief sich die Karte ins Gedächtnis, die sie sich angesehen hatte, und überlegte, wo die Corinth Avenue lag. Dann schloss sie die Augen, ihre Glieder wurden leicht, und sie flog.
Teleportieren fühlte sich merkwürdig an, zumal Isadora es nicht oft erlebte, war sie doch für gewöhnlich in der Burg eingesperrt. Einer der Vorteile, wenn man in Argolea lebte, war, dass man sich mittels purer Gedankenkraft von einem Ort zum anderen begeben konnte. Man brauchte sich bloß das Ziel vorzustellen, schon gelangte man hin. Dies war natürlich eine sehr viel schnellere Form, Wege zu bewältigen, als zu Fuß durch eine Zwei-Millionen-Stadt zu kommen, und weit sicherer als die unberechenbaren Autos und Lastwagen, die Isadora in der Menschenwelt gesehen hatte. Zwar musste man im Freien sein und konnte keine Mauern durchdringen, aber das spielte heute Abend keine Rolle.
Isadora wurde langsamer, hielt an und öffnete die Augen. Sie war exakt an der Stelle, deren Beschreibung sie zufällig mitgehört hatte. Es war nun vollständig dunkel, und Straßenlaternen beleuchteten im Abstand von jeweils zehn Metern das schäbige Kopfsteinpflaster. Die kleinen Läden in diesem Viertel waren heruntergekommen, ihre Schaufenster schmutzig und die Beschriftungen teils abgefallen, teils verwittert. Die wenigstens von ihnen betrieben überhaupt noch Geschäfte. Ein Mülleimer lag umgekippt auf dem Gehsteig, aus dem Unrat und gammelige Essensabfälle aufs Pflaster quollen. Drei Kinder, die aussahen, als hätten sie seit Tagen nicht gebadet, und nicht älter als zehn sein konnten, durchsuchten die Abfälle.
Isadora huschte eilig an der Bar zu ihrer Rechten vorbei, deren Tür weit offen stand, so dass Grölen, Gelächter und das Schaben von Stühlen nach draußen drangen. Sie ging an dem Lärm vorbei zu dem einsamen Eckladen, über dem ein Schild mit der Aufschrift HELIOS hing.
Hinten im Laden brannte Licht, und obwohl das Zeichen an der Tür sagte, dass geschlossen war, griff Isadora nach dem Knauf und drückte.
Sogleich wehte ihr ein beißender Geruch nach Weihrauch und Kräutern
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