Bann der Ewigkeit: Roman (German Edition)
besser als irgendjemand sonst. Während der letzten Wochen hatte er gelernt, alle Geräusche Atalantas aus dem Stockwerk unter ihm zuzuordnen – vom gedämpften Klang ihrer Stimme über das Wasserrauschen aus ihrem Bad bis hin zu den Wärmepunkten von ihren Lampen und der Heizungsanlage.
Er stand in der offenen Tür und blickte ins Zimmer, wobei er langsam durch die Nase atmete, damit Atalanta ihn nicht hörte. Als Göttin der Unterwelt hatte sie nie richtig geschlafen. Natürlich musste sie hin und wieder ausruhen, doch es war kein Vergleich zu ihrem Schlafbedürfnis jetzt. Seit sie in der Menschenwelt waren, schlief sie mehr und mehr, was seine Vermutung bestätigte, dass sie genau wie er war: Sterblich, auch wenn sie es schaffte, sich göttergleiche Kräfte zu bewahren.
Er beobachtete, wie sich ihre Brust hob und senkte, den Blick auf die Kette an ihrem Hals gerichtet. Erst als er überzeugt war, dass sie ihn nicht bemerkte, wagte er sich weiter ins Zimmer.
»Überlege gut, ehe du handelst, junger Maximus.«
Erschrocken blickte er zur Seite, wo die geisterhafte Frau still im Schatten neben ihm stand, und Panik regte sich in seiner Brust.
Es war dieselbe alte Frau, die ihm das Glasoval gegeben hatte. Er würde sie überall wiedererkennen. Heute Nacht schien sie wie ein Geist, unwirklich in ihren durchsichtigen Gewändern, die ebenso hell schienen wie ihre bleiche Haut. Aber ihr Gesicht war unverändert, die Haut faltig, das Haar schneeweiß und die Augen … so durchdringend wie bei seiner ersten Begegnung mit ihr.
»Ja«, sagte sie leise, »ich bin es. Und dies hier betrifft dich nicht.«
Er wusste, dass keiner außer ihm sie hören oder sehen konnte, trotzdem war die klare Stimme in dem stillen Zimmer befremdlich. Ängstlich sah er kurz zu Atalanta, deren göttergleiche Kräfte sie womöglich doch etwas wahrnehmen ließen, aber sie schlief.
Wieder wurde er aufgeregt. Es betraf ihn nicht? Nein, es betraf sie nicht. Sie und ihr nutzloses Glas.
Er achtete nicht mehr auf die alte Frau, sondern trat an Atalantas Bett. Der Anhänger lag auf ihrer Brust, oberhalb des Dekolletés. Ihr Kopf war zur Seite geneigt, ihr einer Arm lag nach oben angewinkelt an ihrem Gesicht, der andere auf ihrem Bauch. Je näher Max ihr kam, umso zuversichtlicher wurde er.
»Maximus …«
Er streckte eine Hand aus.
»Maximus, nicht!«
Seine Fingerspitzen berührten den Anhänger, der sich heiß anfühlte; Max hielt den Atem an, denn er hätte gedacht, dass sich das Metall kalt anfühlen würde. Atalanta regte sich, und er blickte zu ihrem Gesicht. Die Furcht, ertappt zu werden, wurde sehr real.
Eine Ewigkeit verstrich, während er zu schwitzen begann, doch er wagte nicht, sich zu rühren. Atalantas Lider flatterten, ohne sich zu öffnen. Mit einem leisen Stöhnen drehte sie den Kopf zur anderen Seite und atmete in regelmäßigen Zügen weiter.
Max hatte das Gefühl, sein Herz würde erst jetzt wieder weiterschlagen.
Er durfte keine Zeit vergeuden, also beugte er sich vor und betrachtete den Verschluss der Kette.
»Du weißt nicht, worauf du dich einlässt«, sagte die alte Frau, die wieder neben ihm war. Ihre Stimme zitterte, als wäre sie von Gefühlen überwältigt. Aber Max achtete nicht mehr auf sie. Stattdessen öffnete er den schweren Kettenverschluss, der ein sanftes Klicken von sich gab. Als Atalanta sich immer noch nicht rührte, zog er behutsam an dem einen Kettenende.
Abermals seufzte Atalanta, wandte wieder den Kopf, und die Kette war frei. Max hielt die Metallscheibe in der Hand.
»Maximus, dies ist nicht bloß ein Schmuckstück. Es hätte nie in Atalantas Hände gelangen dürfen, und du solltest es erst recht nicht haben.«
Von der flachen Scheibe strahlte Energie in seine Hand ab. Sie floss durch seine Finger, in seinen Arm und seine Brust hinab, bis jeder Muskel in seinem Leib davon vibrierte. Ein Gefühl von Macht durchströmte ihn, und ihm war, als wüchse er auf die dreifache Größe an, obwohl gar nichts passierte.
Cool.
Er musste lächeln. An der alten Frau vorbei, eilte er leise durch Atalantas Wohnzimmer zurück zur Tür.
»Maximus.« Die Alte war wieder neben ihm, als sei sie hinter ihm hergeschwebt. Er sah sie nicht an, denn sein Blick war vom Anhänger gebannt. Aus dem Augenwinkel jedoch bemerkte er, dass die Frau ihn nicht überragte. »Noch ist es nicht zu spät. Du kannst es zurücklegen, und keiner erfährt, was hier geschehen ist.«
»Warum hast du keine Angst, wenn sie den Anhänger
Weitere Kostenlose Bücher