Bannkrieger
Wolkenrand durchstieß, beinahe so, als wollte er sich ins Freie ziehen. Verzweifelt tasteten seine Finger in der Luft umher. Vergeblich. Schon wenige Augenblicke später lösten sich große Nebelfetzen aus der grauen Wand, wehten auf seinen Unterarm zu und hüllten ihn von mehreren Seiten ein, bis er wieder vollständig im Nichts verschwand.
Rorn erschauderte beim Anblick der wabernden Nebelwogen, die sich keine Handbreit von der Stelle bewegten und in der die Hufschläge und die Flüche der Iskander immer leiser wurden.
Solch einen starken Zauber hätte er Hatra niemals zugetraut.
Nur Zerbe war bisher entkommen, doch dem geisterhaften Brodem entwuchsen weitere Schleier, die ihm nachstrebten. Der Lederhäuter musste selbst ein Magnus, Hexer oder Druide sein, denn er spürte die nahende Gefahr, ohne ein einziges Mal über die Schulter zu blicken.
Rücksichtslos trieb er sein Pferd tief ins Unterholz. Dass sich das Tier am ganzen Leib verletzte, war ihm egal. Er nahm sogar in Kauf, dass es sich beide Vorderläufe brach, als er es mit brachialer Gewalt über einen am Boden liegenden Baumstamm hetzte. Für ihn zählte nur eins: dass er den verborgenen Dornengang erreichte, in dem die Jadeträgerin steckte.
Sein magischer Instinkt, der auf die Ausstrahlung der Schattenjade reagierte, führte ihn direkt zum Ziel. Rorn sah ihn mitsamt dem vornüberstürzenden Tier in einem grünen Laubteppich verschwinden. Das Ross keilte noch zweimal nach hinten aus, bevor es sich auf die Seite wälzte und markerschütternde Klagelaute ausstieß. Mea schrie gellend auf.
Die Nebelschwaden, die Zerbe folgten, hatten ihn noch nicht erreicht, doch Mea keuchte, fluchte und schrie, als würde sie ums nackte Überleben kämpfen.
»Hilf der Jadeträgerin!«, verlangte Hatra aufgeregt. »Wenn es dem Lederhäuter gelingt, sie mit in den Nebel zu ziehen, war alles umsonst!«
Rorn stürzte los, noch ehe sie ausgesprochen hatte.
Trotz des engen Dornentunnels, in den immer wieder Zweige oder Triebe hineinrankten, rannte er, so schnell er konnte. Das blanke Schwert in der Rechten, achtete er nicht darauf, ob ihm etwas ins Gesicht schlug oder er mit dem hirschledernen Hemd an irgendwelchen Kletten, Spitzen oder Stacheln hängen blieb. In Windeseile gelangte er zu der Stelle, an der Zerbe und das Pferd am Boden lagen.
Rorn blieb beinahe das Herz stehen, als er sah, mit welcher kalten Berechnung der Lederhäuter vorgegangen war. Das schwer verletzte Pferd, das sich nicht mehr aus eigener Kraft aufrichten konnte, hatte Yako und Nispe unter seinem massigen Leib begraben. Beide versuchten sich verzweifelt zu befreien, doch es gelang ihnen nicht, das verängstigte und in zahllosen Dornenranken verfangene Tier zur Seite zu wälzen.
Zerbe hätte den Magnus und die Leibwächterin mühelos mit zwei Schwertstreichen töten können, doch er tat es nicht. Ihm saß der immer näher wirbelnde Nebel im Nacken. Darum konzentrierte er sich voll und ganz auf Mea, die er am Ausschnitt und an der rechten Hand gepackt hatte.
Erst beim Näherkommen erkannte Rorn, dass sich Zerbe weniger für die Jadeträgerin selbst als für ihren Halsschmuck interessierte.
Mea tat alles, um das Geschmeide seinem Zugriff zu entziehen. Sie wand sich wie eine Schlange, trat und schlug um sich, so gut sie konnte, und umklammerte ihr Standeszeichen mit der Rechten. Obwohl Zerbe ihr die goldene Halskette bereits vom Kopf gezerrt hatte und ihr die Hand brutal nach hinten bog, ließ sie die seltene Schattenjade nicht los.
Ihr Handgelenk knackte verdächtig, und Mea bäumte sich vor Schmerz auf.
Hinter der Ledermaske rasselte es, als würde ein mit leeren Nussschalen gefüllter Leinensack auf einem Marmorboden ausgeschüttet.
Zerbe lief die Zeit davon. Er spürte die klammen Nebelfäden, die ihm mit ihren dünnen Spitzen über den Rücken strichen. Wütend hob er die Jadeträgerin an. Zuerst schien es, als wolle er sie mit voller Wucht auf die Erde schmettern, aber dann trat er nur einen Schritt zurück.
Dann noch einen.
Und noch einen.
Yako und Nispe schrien entsetzt auf, als sie begriffen, dass er ihre Gebieterin in den aufwallenden Nebel verschleppen wollte, aber sie waren zur Hilflosigkeit verdammt. Weil er Mea so nahe war, brauchte Zerbe nicht mal das Kriegsgeschrei der Phaa zu fürchten.
Der wabernde Nebel wuchs immer höher hinter dem Lederhäuter an, doch vor der Lücke im Dickichttunnel verlief eine unsichtbare Grenze, über die sich die Schwaden nicht hinaus
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