Bannkrieger
er es auf einen toten Lederhäuter niederfahren, der mit dem Rücken an der leeren Pferdebox lehnte. Mühelos spaltete Rorn die Flickenmaske vom Scheitel bis zum Kinn.
Als die beiden Hälften auseinanderfielen, erfüllte der unangenehme Geruch von verschmortem Aas die Luft. Dünne Rauchfäden stiegen von den Schnittkanten auf.
Erneut zuckten weißblaue Frostflammen über die Klinge. Rorn wusste nicht recht, was er davon halten sollte, aber da er ohnehin eine Waffe zur Verteidigung brauchte, suchte er ein passendes Wehrgehänge heraus und gürtete sie um.
Obwohl sich die Sonne in einen wolkenlosen Himmel erhob, hielt die Kälte in der Schmiede unvermindert an. Rorn sah sich nach passender Kleidung um, aber das Einzige, was ihm geeignet erschien, war der Mantel, den der Anführer der Feinde getragen hatte. Das Ding musste gestohlen sein, denn es war nicht aus Flicken gefertigt wie die übrige Kleidung der Kreaturen, sondern bestand aus einem einzigen Stück weichen Leders. Vermutlich hatte ein Bär oder ein noch größeres Tier sein Leben dafür lassen müssen.
Rorn schloss die Augen, als er den Mantel an sich raffte, vor allem, um dabei nicht Vorgs abgeschlagenen Kopf ansehen zu müssen. Danach schwang er den Mantel über die eigenen Schultern, zog den weichen Kragen vor dem Hals zusammen und trat hinaus ins Freie.
Auch vor der Schmiede sah es wie im tiefsten Winter aus. Eiszapfen hingen von den Dächern oder, wo es gebrannt hatte, von schwarz verkohlten Holzsparren. Der Bannkreis hatte das ganze Dorf erfasst und ging noch weit über die Palisade hinaus, doch auf den weiß blühenden Wiesen schmolz der Reif bereits dahin.
Vorbei an weiß gesprenkelten Brandruinen und bizarren Eisgebilden sah sich Rorn überall um, fand aber nichts außer toten Freunden und mitten in der Bewegung erstarrten Feinden. Die schlagartig freigesetzte Magie hatte nicht nur alle Brände erstickt, sondern auch sämtliche Geschmeißanhäufungen zu festen Klumpen verschmolzen. Nur eines hatte der Bann nicht vermocht – einen weiteren Menschen vor dem Verderben zu retten.
Rorn suchte wie besessen weiter. Nach Überlebenden und auch nach Hinweisen, dass irgendeinem Dörfler die Flucht gelungen war. Doch die einzigen frischen Spuren, die er fand, waren seine eigenen.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als er sich endlich das Offensichtliche eingestand – dass außer ihm niemand überlebt hatte.
Dass er von nun an ganz allein war!
Rorn zerschlug eine dünne Eisschicht, die sich auf einem Wasserbottich gebildet hatte, um ein wenig zu trinken. Sobald die gekräuselte Oberfläche wieder geglättet war und er sein Spiegelbild erblickte, schrak er zusammen.
Sein einstmals dunkles Haar war schlohweiß geworden, sein Gesicht wies scharfe Falten auf. Außerdem steckte in seinem Kinn, an der Stelle, an der es schon mehrmals gekribbelt hatte, ein Jadesplitter, der sich glücklicherweise mit den Fingernägeln leicht herausziehen ließ.
Zurück blieb eine kleine, kaum blutende Wunde.
Nachdem er die neuerliche Überraschung überwunden hatte, brachte er die menschlichen Toten ins Gemeinschaftshaus. Neele und seine Eltern bahrte er in der Mitte des großen Raumes auf, alle anderen um sie herum. Zuletzt, als ihm die Kräfte allmählich schwanden, türmte er die restlichen Leichen nur noch achtlos übereinander. Sobald alle beisammen waren, rollte er die letzten Pechfässer heran, kippte sie aus und setzte ihren Inhalt in Brand.
Das Feuer breitete sich rasch nach allen Seiten hin aus. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Flammen aus den Fenstern schlugen. Bald darauf begann das Dach zu qualmen, schließlich brannte das ganze Gebäude lichterloh.
Rorn wich zurück, als der Geruch von schmorendem Fleisch die Luft zu verpesten begann. Eigentlich hätte ihn die Erschöpfung in die Knie zwingen müssen, aber der in ihm wühlende Schmerz verhinderte die gnädige Ohnmacht. Noch länger zwischen den Ruinen umherwanken wollte er jedoch nicht, denn jeder Stein und jeder Balken weckten Erinnerungen in ihm. So packte er einige Vorräte zusammen, die er in verschiedenen Hütten fand, und kehrte seiner Heimat für alle Zeiten den Rücken.
Sein erster Weg führte ihn zu Hatras Pfahlhütte, doch die Hexe war verschwunden. Sie konnte nur das Nötigste zusammengerafft haben und musste Hals über Kopf geflohen sein. Rorn fand nicht die geringste Spur von ihr, nur eine Truhe voller Kleider, die wesentlich besser erhalten waren als die alten Fetzen,
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