Barakuda der Wächter 03 - Die Freihändler von Cadhras
unter dem Flußbett lagen, bargen in ihrem genauen, unzugänglichen Mittelpunkt Kammern der Stille und des Unlichts. Die Pangoshil nutzten die Kraft des Stroms zu vielen Dingen; über Turbinen gewannen sie Elektrizität – funkelnde Lichter für die Nächte der oberen Ebenen und die Tage und Nächte der Tiefe; sie leiteten Wasser durch dünne gläserne Leitungen, die an bestimmten Punkten erhitzt wurden. Das erwärmte Wasser wurde mit Leuchtstoffen angereichert und heizte die tiefliegenden Teile des Labyrinths; dabei glommen die wärmenden Glasröhren, und zusammen mit den farbigen Gläsern und Kristallen der Wände und den vielfach abgestuften Lichtern und Lampen der Tiefe ergaben sie betäubende, belebende, träumerische und albträumerische Effekte. Es gab Kammern des Denkens, die nur von jenen Farben erfüllt waren, die der Konzentration dienten; Kammern der Liebe; Kammern der Heilung; Kammern der Versenkung; Kammern der Nahrung; Kammern der Verwirrung; Kammern der Disputation; Kammern des Entsetzens; Kammern der Erinnerung … Und die Kammern der Stille und des Unlichts. Wenn die Bewohner der gläsernen Heim stätten ihr Ende nahen fühlten, begaben sie sich auf die Su che nach diesen letzten Kammern im unzugänglichen Zentrum ihrer Welten. Angeblich gab es Hüter, die sie an einem bestimmten Punkt erwarteten und ans Ziel führten. Dort, so hieß es in den alten Liedern, die man im Norden noch lange sang, legten sie sich zur Ruhe, und nach einem Leben in Licht und Lauten öffnete die dunkle Stille die Schleusen des Daseins, und das Leben floß aus den Menschen wie das Wasser aus den Ventilen am unteren Ende der Städte. Dort brachten Künstler zungenförmige Blätter aus beweglichem Kristall an, und wenn das Wasser die Städte verließ, floß es über die Zungen, die unterschiedlich lang, breit und dünn waren und die Städte mit den seltsamsten Tönen füllten. Auch diese Musik war in den Kammern der Stille nicht zu hören; es hieß, daß die Sterbenden dort die herrlichsten To deslieder sangen, um sich von den Banden des Lebens zu lösen, aber niemand hörte sie.
Als die Ahninnen der späteren Heiligen Mütter von Pasdan mit einigen Schiffen, moderner Technik und Strahl- und Feuerwaffen in Pangotajdir landeten, fanden sie ein fruchtbares Land vor, das bewaldet war, aber so gut wie ungenutzt. Die Pangoshil ernährten sich von Fischen, dem Ertrag ihrer gläsernen Gärten und kleiner Felder in nahe den Städten befindlichen Flußauen. Die Mütter hätten das Land bebauen und die Pangoshil in ihren kristallenen Traumstädten lassen können, aber sie zerstörten Pangotajdir. Für jede totalitäre Weltanschauung ist die Existenz einer andersartigen Welt gleich nebenan eine unerträgliche Provokation, Blasphemie, ein Widerspruch und eine Widerlegung der unwiderlegbaren absoluten Wahrheit. Und die Pangoshil waren weder kriegerisch noch überhaupt in der Lage, sich zu wehren.«
11. Kapitel
Unter dem Sommerhimmel schwankten die Halme im Westwind, der Salzgeruch vom Pangotischen Ozean mischte sich mit dem der Gräser und des Getreides; Sensen blitzten rhythmisch, im Takt der Ballade. Längst trugen die schlanken, kräftigen Schnitterinnen nicht mehr den Lederharnisch und die Lendungen der Unberührbarkeit; weiße und beige Tuniken waren bewegliche Tupfer im Korn. Hinter den Schnitterinnen kamen andere Frauen und Männer, bündelten die Ähren und brachten die Garben an den Rand des Feldes. Auf dem Weg standen Karren.
Tremughati stieg zum riedbestandenen Flußufer hinunter. Die fröhlichen Arbeitsgesänge erfüllten sie mit einer leichten Melancholie, denn sie kannte die anderen, die ganz alten Lieder, die in der Nordsteppe über das Land der Sieben Ströme gesungen wurden, als dieses noch nicht Pasdan, sondern Pangotajdir gewesen war, das »Glückliche Westland«.
Das träge Wasser murmelte und schmatzte im Ried. Vielleicht war hier einst eines der phantastischen kristallenen Labyrinthe gewesen. Die Festungen, Verliese, Sklavenpferche, die Werften und Wälle, die Schmieden, Gießereien und Laboratorien der Heiligen Mütter von Pasdan waren zerstört, wie zuvor die Glaspaläste der Pangoshil. Das Land und die Ströme waren geblieben.
Tremughati wanderte langsam flußaufwärts und sammelte aromatische und heilende Kräuter, die in Flußnähe unter Stauden und kleinen Bäumen gediehen. Ein Kraut zur Heilung aller Wunden der Welt war nicht darunter. Manchmal dachte sie an die vielen Shil, Cadhrassi und
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