Bardenlieder von Silbersee - Die Drachenreiter 1: Schicksalsschlaege (German Edition)
wollen.«
»Überall hin?«, hakte Linara nach und überlegte, an welchen Ort sie noch zu gehen wünschen könnte, der anderen versperrt blieb.
»Atharis ist heute im Schloss und ich kann dir versprechen, er hat seine Audienz bei der Herrin sicher nicht auf dem regulären Weg beantragt.« Sindras Grinsen wurde noch breiter.
Linara schüttelte den Kopf, zum Zeichen, dass sie wohl immer noch nicht in vollem Ausmaß verstand, was man ihr mitteilte, es aber dabei bewenden lassen wollte. Vielleicht würde sie ihren Bruder selbst einmal danach fragen. Für den Moment wollte sie lediglich die Eindrücke der Stadt auf sich wirken lassen.
Sie folgten der Allee einige Minuten Richtung Norden und bogen schließlich nach rechts in einen Seitenweg ein.
Fast augenblicklich wandelte sich das Bild der Stadt – und dies keineswegs zum Vorteil, wie Linara fand, auch wenn ihr ein Blick in Sindras fröhliches Gesicht verriet, dass sich das Halbling-Mädchen hier keineswegs unwohl zu fühlen schien. Weißer Marmor war verwitterten Holzlatten gewichen. Anstelle der Schmiedeeisenzäune schützte hier rostiger Stacheldraht das Eigentum, auch wenn es kaum etwas zu geben schien, das geschützt werden musste. Von dem Hauch des Frühlingsduftes war nichts mehr geblieben. Statt dessen dominierte der Geruch von Rauch, Staub und Menschen – Menschen, zusammengepfercht in baufälligen Holz- und Steinhütten, die sich eng an die Gasse schmiegten. Manch eine Häuserfront lehnte sich derart weit vor, dass seine Dachkante beinahe die der gegenüberliegenden Gebäude berührte. Linara zog unwillkürlich den Kopf ein und beschleunigte ihren Schritt.
Die Menschen hier würdigten sie kaum eines Blickes. Manch einer zog gar betont den Kopf ein und hüllte sich fester in die zerschlissene Wolldecke, die er anstelle eines Mantels trug. Nur ein kleiner Junge streckte schüchtern seine abgemagerte Hand vor. Linara überlegte, ob sie ihm die ihre zum Gruße reichen sollte, entschied sich dann aber dagegen, da sie dicht an der Seite ihrer Gefährten bleiben und nicht trödeln wollte.
Sie bogen um eine weitere Ecke, doch diesmal änderte sich nichts an dem trostlosen Bild. Die Elfe glaubte, unter den von Ruß geschwärzten Mauern ersticken zu müssen. Sie blickte sich suchend um, in der Hoffnung, etwas zu entdecken, das geblieben war von dem Silbersee, das sie vor wenigen Minuten betreten hatte.
Hoch über dem Unrat, der hier im Rinnsaal lag, zwischen dem Gebälk der Dächer, fand sie tatsächlich einen Rest dieses anmutigen Schimmers.
Auf einem mächtigen Felsen über der Stadt thronend, erhob sich die weiße Burg von Silbersee, mit ihrem einzelnen, hohen Turm, der, von vier kleineren umstanden und mit feinem Maßwerk verziert, spitz und erhaben in die Gefilde des Himmels ragte. Von den Zinnen der Mauern flatterte das Banner des Landes – der fliegende Schwan in Silber auf nachtblauem Grund, umgeben von zwei Schwertern und einem Kranz aus Sternen, einen für jedes Volk, ein Symbol für Freiheit und Einigkeit. Nun begannen die Federn des Wasservogels in Rot und Gold zu schimmern, als die Sonne hinter den Feldern und Höfen der Ebene im Westen in der Ewigen Steppe versank. Und wer so weit zu blicken vermochte, dem schien es, dass sie dort die endlosen Weiten der hohen Gräser in Brand steckte. Im Osten, wo der Himmel langsam von hellem Blaugrün in tiefes Mitternachtsblau wechselte, leuchtete Risithell, der erste Stern der Nacht, bereits blass am Firmament.
Während die Mauern der Festung noch im Abendrot glühten, hatte sich über die Straßen und Gassen, durch welche Linara, Sindra und Imares spazierten, bereits der Schatten der Nacht gelegt. Hier und da wurden erste Öllampen und Fackeln entzündet.
Linara musste den Blick wieder von der Burg abwenden, da der Müll, der mancherorts knöchelhoch auf der Straße lag, ihre Aufmerksamkeit forderte. Angewidert zog sie ihren Hemdkragen über die Nase, doch das half nicht, den Gestank abzuhalten. Obgleich ganz Silbersee von einem Netz aus Kanälen und Abwassersystemen durchzogen war, schien sauberes Wasser hier ein Fremdwort zu sein. Die Menschen lebten wie die Ratten im Unrat auf der Straße und sie schienen sich gleichermaßen wie die Tiere nicht daran zu stören.
»Können wir von hier verschwinden?«, hauchte die Elfe Sindra zu und schluckte aufsteigende Übelkeit hinunter.
Das Halbling-Mädchen sah sie prüfend von der Seite an und nickte dann. »Wir gehen hinunter ins Handwerksviertel. Dort gibt
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