Barrayar
auffällig. Die Leute würden sie bemerken.«
»Ich sehe nicht, wie es ihre Lage verbessern würde, wenn sie sich uns jetzt anschließen. Ihre Tarnung hat einige Wochen funktioniert. Wenn wir in der Residenz Erfolg haben, dann können wir vielleicht auf dem Rückweg etwas für sie versuchen. Bestimmt Illyan veranlassen, dass er ihnen loyalistische Agenten zur Unterstützung schickt. Wenn wir zurückkommen …« Verdammt! Wenn sie ein offizielles Kommandounternehmen wären, dann hätten sie genau die Kontakte, die die Vorpatrils brauchten. Aber wenn sie ein offizielles Kommando wären, dann wären sie zweifellos nicht auf diesem Weg gekommen. Sie saß da und dachte nach. »Nein. Noch kein Kontakt. Aber wir sollten lieber etwas tun, um unseren Freund im Erdgeschoß zu entmutigen.«
»Habe ich schon gemacht«, sagte Bothari. »Ich sagte ihm, ich wüsste, wo ich einen besseren Preis bekäme und nicht später meinen Kopf riskieren würde. Wir können ihn vielleicht bestechen, dass er uns hilft.«
»Trauen Sie ihm?«, sagte Droushnakovi zweifelnd.
Bothari verzog das Gesicht. »So weit ich ihn beurteilen kann. Ich werde versuchen, ein Auge auf ihn zu haben, solange wir hier sind. Noch was. Ich habe eine Sendung auf seinem Vid im Hinterzimmer gesehen. Vordarian hat sich selbst gestern Abend zum Kaiser ausgerufen.«
Kou fluchte: »So ist er endlich ausgeflippt und hat’s gemacht.«
»Aber was bedeutet das?«, fragte Cordelia. »Fühlt er sich stark, oder ist das ein Akt der Verzweiflung?«
»Das ist der letzte Trick aus der Kiste, um die Raumstreitkräfte auf seine Seite zu ziehen, vermute ich«, sagte Kou.
»Wird er dadurch wirklich mehr Leute anziehen, als er dadurch vor den Kopf stößt?«
Kou schüttelte den Kopf: »Wir auf Barrayar fürchten wirklich das Chaos. Wir haben es schon einmal versucht. Es ist schlimm. Das Kaisertum wurde als Garant der Ordnung angesehen, seit Dorca Vorbarra die Macht der kriegführenden Grafen brach und den Planeten einte. Kaiser ist hier ein wirkliches Wort der Macht.«
»Nicht für mich«, seufzte Cordelia. »Sorgen wir dafür, dass wir etwas ausruhen können. Vielleicht ist morgen um diese Zeit schon alles vorbei.«
Ein hoffnungsvoller oder grausiger Gedanke, je nachdem, wie man’s verstand. Sie zählte zum tausendsten Mal die Stunden, ein Tag war noch übrig, um in die Residenz einzudringen, zwei, um in Vorkosigans Territorium zurückzukehren … da war nicht mehr viel übrig. Es kam ihr vor, als würde sie fliegen, schneller und immer schneller. Und als hätte sie fast keinen Raum mehr zum Wenden.
Die letzte Chance, die ganze Sache abzublasen. Ein feiner nebliger Nieselregen hatte in der Stadt den Einbruch der Abenddämmerung beschleunigt. Cordelia schaute durch das schmutzige Fenster hinaus auf die glitschige Straße, die das Licht einiger schwacher gelblicher Straßenlaternen spiegelte. Nur ein paar vermummte Gestalten hasteten mit gesenktem Kopf vorbei. Es war, als hätten der Krieg und der Winter den letzten Hauch des Herbstes eingeatmet und atmeten jetzt ein tödliches Schweigen aus. Die Nerven, sagte sich Cordelia, straffte ihren Rücken und führte ihre kleine Gruppe die Treppe hinab.
Die Anmeldung war nicht besetzt. Cordelia wollte sich gerade dafür entscheiden, solche Formalitäten wie die Abmeldung zu übergehen – schließlich hatten sie schon im Voraus bezahlt –, da kam der Wirt stampfend durch die Vordertür herein und schüttelte fluchend kalte Regentropfen von seiner Jacke. Dann erblickte er Bothari.
»Du! Das ist alles deine Schuld, du feiger Kerl. Wir haben es verpasst, wir haben es verdammt noch mal verpasst, und jetzt streicht sich ein anderer die Belohnung ein. Die hätte mir gehören können, hätte mir gehören sollen …«
Die Schimpfkanonade des Wirtes wurde von einem dumpfen Schlag unterbrochen, als Bothari ihn gegen die Wand drückte. Die Zehen des Mannes suchten Halt am Boden, während Botharis plötzlich wildes Gesicht sich dem seinen näherte. »Was ist passiert?«
»Eines von Vordarians Kommandos hat diesen Kerl geschnappt. Es sieht so aus, als hätte er sie auch zu seiner Partnerin geführt.« Die Stimme des Wirtes schwankte zwischen Ärger und Angst. »Sie haben sie jetzt beide, und ich habe nichts.«
»Haben sie?«, wiederholte Cordelia matt.
»Haben sie eben gerade geschnappt, verdammt!«
Es könnte noch eine Chance geben , erkannte Cordelia.
Führungsentscheidung oder taktischer Zwang, das spielte jetzt kaum noch eine Rolle.
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