Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
hat. Sein gedungener Mörder hat dafür einen hochrangigen Magier umgebracht. Unter diesen Umständen halte ich es für wahrscheinlicher, dass Lovelace Underwood tötet, um sich das Amulett zurückzuholen, oder?«
Die ganze Kammer schien sich um Nathanael zu drehen, er glaubte, ohnmächtig zu werden. Was Bartimäus da erzählte, war schlimmer als alles, was er sich ausgemalt hatte. »Wir dürfen nicht einfach hier herumstehen«, stammelte er. »Wir müssen etwas unternehmen…«
»Ganz recht. Ich zieh los und seh nach, wie sich die Sache entwickelt. Du bist ein braver Junge, bleibst hier drin und machst dich auf einen schnellen Abgang gefasst, falls es brenzlig wird.«
»Ich will nicht weglaufen.« Es klang sehr kleinlaut. Wenn Nathanael an die möglichen Folgen dachte, wurde ihm ganz schwindlig. Mrs Underwood…
»Ich will dir mal was verraten, was ich im Lauf meiner langjährigen Karriere gelernt habe: Weglaufen ist keine Schande, wenn man am Leben bleiben will. Mit diesem Gedanken solltest du dich lieber rechtzeitig vertraut machen, Kumpel.«
Der Junge drehte sich zur Kammertür um und berührte sie mit der flachen Hand. Mit jammervollem Ächzen barst das Holz rings um das Schloss und die Tür flog auf.
»Geh rauf in dein Zimmer und warte dort auf mich. Ich erstatte dir so schnell wie möglich Bericht. Und stell dich drauf ein, dass wir sofort losmüssen.«
Damit verschwand der Dschinn. Als Nathanael aus der Abstellkammer trat, war der Treppenabsatz leer.
Bartimäus
28
Verzeihen Sie die Störung, Arthur«, sagte Simon Lovelace. Als ich Underwood einholte, betrat er soeben das längliche, düstere Esszimmer, denn er hatte ein paar Minuten vor dem Spiegel auf dem unteren Treppenabsatz zugebracht, um sich das Haar glatt zu streichen und die Krawatte zu richten. Viel half es nicht, im Vergleich zu dem jüngeren Zauberer, der kalt und angespannt wie eine Sprungfeder neben dem Kamin stand und seine Fingernägel betrachtete, sah er immer noch reichlich zerzaust und mottenzerfressen aus.
Underwood vollführte eine übertrieben einladende Handbewegung. »Aber ich bitte Sie, Lovelace, fühlen Sie sich wie zu Hause. Tut mir Leid, dass ich Sie habe warten lassen. Wollen Sie sich nicht setzen?«
Nein, das wollte Lovelace nicht. Er trug einen maßgeschneiderten dunklen Anzug und eine dunkelgrüne Krawatte. In seinen Brillengläsern spiegelte sich das Deckenlicht, und jedes Mal, wenn er den Kopf bewegte, blitzten sie auf. Seine Augen waren nicht zu erkennen, doch unter dem Brillenrand lugten dunkle Ringe hervor. »Sie sind ja ganz aufgelöst, Underwood«, sagte er.
»Nein, nein. Ich hatte bloß oben unterm Dach zu tun und bin ein bisschen außer Puste.«
Ich war als Spinne am Türrahmen hoch und in die dunkelste Ecke unter der Zimmerdecke gekrabbelt. Dort spann ich rasch ein paar Fäden, hinter denen ich mich notdürftig verstecken konnte. Ich hatte nämlich sofort bemerkt, dass der Zauberer seinen Kobold mitgebracht hatte, der mit seinen scharfen, kleinen Augen in alle Ritzen und Winkel spähte.
Wie Lovelace auf Underwoods Haus verfallen war, wollte ich lieber nicht wissen. Trotz allem, was ich dem Jungen verschwiegen hatte, war es zweifellos nur ein dummer Zufall, dass er gleichzeitig mit mir hier eingetroffen war. Doch die Beantwortung dieser Frage konnte warten: Die Zukunft des Jungen – und damit meine eigene – hing davon ab, ob ich rechtzeitig auf das reagierte, was jetzt geschehen würde.
Underwood ließ sich auf seinem Lieblingsstuhl nieder und lächelte gekünstelt. »Also…«, sagte er. »Wollen Sie sich wirklich nicht setzen?«
»Nein danke.«
»Dann befehlen Sie wenigstens Ihrem Kobold, mit dem Gezappel aufzuhören. Er macht mich ganz krank.« Plötzlich klang seine Stimme schroff und gereizt.
Simon Lovelace schnalzte mit der Zunge. Der Kobold, der hinter seinem Kopf herumschwirrte, blieb in der Luft stehen und ließ sein Gesicht absichtlich in einer Grimasse zwischen Glotzen und Grinsen erstarren.
Underwood tat, als bemerkte er es nicht. »Ich muss heute noch einiges erledigen«, sagte er. »Vielleicht erzählen Sie mir einfach, was ich für Sie tun kann.«
Simon Lovelace nickte gewichtig. »Vor ein paar Tagen wurde bei mir eingebrochen. Ein Gegenstand, ein kleines Artefakt von beträchtlichen magischen Eigenschaften, wurde in meiner Abwesenheit aus meinem Haus entwendet.«
Underwood gab ein mitfühlendes Brummen von sich. »Tut mir Leid für Sie.«
»Danke. Ich hänge sehr an dem
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