Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
Vom Netzwerk:
Gässchen, die von der Strand abgingen, ließ Kitty den Tränen freien Lauf. Dann trocknete sie sich das Gesicht, stärkte sich mit einem Rosinenbrötchen, das sie in dem persischen Eckimbiss gegenüber vom Gerichtsgebäude kaufte, und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Allein konnte sie die Strafe auf keinen Fall bezahlen, und sie bezweifelte auch, dass ihre Eltern dazu in der Lage waren. Das hieß, sie hatte einen Monat, um die sechshundert Pfund aufzutreiben, sonst wanderte sie – und ihre Eltern womöglich ebenfalls – ins Schuldgefängnis. Das wusste sie, weil einer der schwarz gekleideten Protokollführer sie, als sie eben gehen wollte, höflich am Ärmel gezupft und ihr eine Zahlungsverfügung, auf der die Tinte noch feucht war, in die zitternde Hand gedrückt hatte. Darauf war penibel vermerkt, wie hoch die Geldstrafe war und wie sie sich zusammensetzte.
    Beim Gedanken, ihren Eltern davon zu erzählen, gab es Kitty einen schmerzhaften Stich. Sie konnte unmöglich sofort nach Hause gehen, wollte erst noch ein Weilchen am Fluss entlanglaufen.
    Die Gasse führte von der Strand zur Uferpromenade hinunter, einem hübschen Spazierweg entlang der Themse. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen, aber die Pflastersteine waren noch dunkel und nass. Links und rechts reihten sich die üblichen Läden aneinander: Imbisse mit orientalischen Leckereien, Andenkenbuden mit kitschigen Souvenirs, Kräuterlädchen, die körbeweise Hartriegel und Rosmarin zum Sonderpreis vor die Ladentür gestellt hatten.
    Als Kitty die Promenade fast erreicht hatte, verkündete plötzlich ein flinkes Tappen hinter ihr, dass dort jemand mit einem Spazierstock ankam. Der Stock gehörte einem alten Mann, der mehr stolpernd als gehend über das abschüssige Pflaster schlingerte. Kitty wich ihm mit einem Satz aus, doch zu ihrem Erstaunen blieb der Mann, statt weiterzutorkeln und in den Fluss zu plumpsen, abrupt bremsend und nach Luft ringend vor ihr stehen.
    »Miss… Jones?«, japste er.
    »Ja?«, sagte sie misstrauisch. Wahrscheinlich noch ein Justizangestellter, der ihr eine weitere Geldforderung überbringen sollte.
    »Gut, gut. Einen… Augenblick… muss nur eben… verschnaufen.«
    Kitty nutzte die Unterbrechung, um den Mann eingehend zu betrachten. Es handelte sich um einen hageren, älteren Herrn mit kahler Schädeldecke und einem Halbkreis aus schmutzig weißem Haar, das ihm wie eine Krause vom Hinterkopf abstand. Sein Gesicht war erschreckend eingefallen, aber sein Blick war wach. Er trug einen ordentlichen Anzug, und die zitternden Hände, mit denen er sich auf den Stock stützte, steckten in grünen Lederhandschuhen.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er schließlich. »Ich hatte schon Angst, ich finde Sie nicht mehr. Hab’s erst auf der Strand versucht. Hatte dann aber eine Eingebung. Bin umgekehrt.«
    »Was wollen Sie?« Kitty interessierten die Eingebungen irgendwelcher alten Männer nicht.
    »Ach ja. Nicht abschweifen. Schön. Also. Ich hab im Zuschauerraum gesessen. Saal siebenundzwanzig. Hab Ihre Verhandlung verfolgt.« Er sah sie gespannt an.
    »Ja und?«
    »Wollte Sie was fragen. Bloß eine Frage. Eine ganz kurze. Wenn’s recht ist.«
    »Danke, aber ich möchte nicht darüber sprechen.« Kitty wollte weitergehen, doch da schoss der Stock urplötzlich vor und versperrte ihr den Weg. Wut stieg in ihr auf; in ihrer momentanen Verfassung schien es ihr durchaus nicht abwegig, dem Mann einen Tritt zu versetzen, dass er die Straße hinunterkugelte. »Tut mir Leid!«, sagte sie, »Aber ich habe nichts zu sagen!«
    »Schon klar. Verstehe. Könnte aber nützlich sein. Hören Sie zu. Dauert auch nicht lang. Die Schwarze Schleuder. Hab ziemlich weit hinten gesessen. Bin ein bisschen schwerhörig. Sie haben gesagt, die Schleuder hätte Sie auch erwischt, oder?«
    »Ja, mich hat es auch erwischt.«
    »Aha. Sie sind ohnmächtig geworden, stimmt’s?«
    »Stimmt.«
    »Überall war Rauch und Feuer. Und es war schrecklich heiß?«
    »Ja. Ich muss jetzt…«
    »Aber die Richterin hat’s nicht geglaubt.«
    »Nein. Jetzt muss ich aber wirklich gehen.« Kitty ging um den ausgestreckten Stock herum und legte die letzten paar Meter bis zur Promenade im Laufschritt zurück. Doch zu ihrer Verwunderung und ihrem Verdruss hielt der Alte mit ihr Schritt und streckte seinen Stock immer wieder so vor, dass er ihr zwischen die Füße geriet, sie stolpern ließ oder zwang, einen Bogen zu machen und auszuweichen. Schließlich hatte sie die Nase voll. Sie

Weitere Kostenlose Bücher