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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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die Lampen über den Türen brannten, die Holzschilder quietschten im Wind.
    Um mich herum stürzte der Regen auf die Straße. Hier und da bedeckten gekräuselte Pfützen das Pflaster. Nichts und niemand war zu sehen, weder sterblich noch überirdisch. Das Viertel war wie ausgestorben.
    Die Straße wurde breiter, teilte sich und umschloss ein kleines, hübsch mit Blumen bepflanztes Rasenrund, was in einer so schmalen Straße irgendwie unpassend wirkte. Erst auf den zweiten Blick entdeckte man den morschen Pfahl mitten auf dem Rasen und die von Blumen überwucherten Steinplatten und erkannte den ursprünglichen Zweck. 25
(Auch der Straßenname, Gibbet Street, nach der alten Bezeichnung für »Galgen«, deutete darauf hin. Die Londoner Obrigkeit hat schon immer den Bogen rausgehabt, wenn es darum ging, ein Exempel zu statuieren, um die Gewöhnlichen in Schach zu halten, auch wenn in den letzten Jahren die Leichen hingerichteter Verbrecher nur noch im Gefängnisviertel rund um den Tower zur Schau gestellt wurden. Überall sonst sah man aus Rücksicht auf die Touristen davon ab.)
In jener Nacht sah das Ganze ziemlich verregnet und windzerzaust aus, aber was mich interessierte und dazu veranlasste, den Platz erst einmal im Flug zu umrunden und mich dann auf dem Pfahl niederzulassen, waren die Spuren im Gras.
    Es handelte sich um eine Art Fußstapfen. Große Fußstapfen. Spatenförmig mit einem abgespreizten Zeh am breiten Ende. Sie zogen sich quer über das kleine Rondell und hatten sich tief in den feuchten Boden eingedrückt.
    Ich schüttelte meinen nassen Federschopf und trommelte mit den Klauen auf den Pfahl. Na prima. Mein Gegner war also nicht nur unbekannt und bösartig, sondern auch noch groß und stark. Das wurde ja immer besser.
    Ich folgte den Fußstapfen mit meinen Adleraugen. Außerhalb des Platzes war noch eine schwache Matschspur zu erkennen, dann verliefen sich die Spuren, aber es war klar, dass keiner der Läden zu beiden Seiten der Straße geplündert worden war. Der Unbekannte hatte offenbar ein anderes Ziel. Ich stieß mich ab und flog weiter.
    Die Gibbet Street mündete in einen breiten Boulevard, der nach beiden Richtungen im Finstern verschwamm. Direkt gegenüber der Einmündung erhob sich ein imposanter Zaun mit sechs Meter hohen und fünf Zentimeter dicken Gitterstäben aus massivem Eisen. Der Zaun besaß ein zweiflügeliges Tor, das weit offen stand. Genau genommen hatte jemand die Torflügel mit jeweils einem ordentlichen Stück verbogenem Zaun dran um eine Straßenlaterne gewickelt. Derjenige hatte es eilig gehabt und einfach ein Stück Zaun herausgerupft. Prima, wenn einer weiß, was er will. Im Gegensatz dazu näherte ich mich dem Schauplatz mit äußerster Zurückhaltung und flog in Zeitlupe über die Straße.
    Ich ließ mich auf einem misshandelten, verbogenen Gitterstab nieder. Hinter dem lädierten Tor führte eine Auffahrt zu einer breiten Treppe, über der sich ein hoher Portikus mit acht prächtigen Säulen erhob, welche wiederum zu einem riesigen Bauwerk gehörten, groß wie ein Schloss und nichts sagend wie ein Bankgebäude. Ich kannte es noch von früher. Es war das berühmte British Museum. Es dehnte sich nach allen Seiten aus, ein Anbau nach dem anderen, weiter als mein Auge reichte. Es nahm die gesamte Grundfläche zwischen zwei Querstraßen ein. 26
(Das British Museum beherbergte abertausende Altertümer, von denen etliche dutzend sogar rechtmäßig erworben waren. Noch vor der Regentschaft der Zauberer hatten es sich die britischen Herrscher zweihundert Jahre lang zur Gewohnheit gemacht, alles mitgehen zu lassen, was ihren Handelsagenten in aller Herren Länder in die Finger kam. Es war eine richtige Nationalkrankheit, hervorgerufen durch Neugier und Habsucht. Die vornehmen Damen und Herren hielten auf ihren Europareisen immer schön die Augen nach kleinen Kostbarkeiten offen, die man unbemerkt in der Handtasche verstauen konnte. Auf Feldzügen stopften sich die Soldaten die Tornister mit Schmuck und anderer Kriegsbeute voll, und jedes Handelsschiff, das in den Hafen der Hauptstadt einlief, führte im Frachtraum eine Zusatzladung wertvoller Souvenirs mit sich. Die meisten dieser Stücke landeten irgendwann in der unablässig wachsenden Sammlung des British Museum, wo sie mit durchsichtigen, in vielen Sprachen bedruckten Schildchen versehen und ausgestellt wurden, damit sich die ausländischen Touristen an den ihnen geraubten Kleinodien erfreuen konnten. Als schließlich die

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