Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
beschnüffelten und befühlten sie. Der Schatten auf der Schulter des Bärtigen war abgelenkt und lockerte seinen Griff. Ein Achselzucken, ein gut gezielter Hieb – wo war der Schatten hin? Zwei Hälften krümmten sich am Boden und suchten einander mit verzweifelt tastenden Fingern.
Der Söldner setzte sich wieder in Bewegung, kam langsam und unerbittlich näher. Sein Umhang war zerrissen, er ging auf Strümpfen. Das Gerangel mit den Schatten schien ihn sehr erschöpft zu haben, denn er war ganz bläulich im Gesicht, außerdem humpelte und hustete er bei jedem Schritt.
Nathanael stand auf der Schwelle zur Schatzkammer und sah panisch zwischen den grünen Fliesen und dem Söldner hin und her. Ihm war schlecht vor Angst. Jetzt konnte er sich nur noch aussuchen, wie er sterben wollte.
Er nahm sich zusammen. Wenn er sich dem Söldner auslieferte, musste er auf jeden Fall sterben, und so wie der Mann ihn ansah, würde es kein angenehmer Tod sein. Wenn er aber…
Oben auf dem Sockel blinkte lockend das Amulett. Es war schrecklich weit weg, aber die Pestilenz verhieß wenigstens einen raschen Tod.
Das gab den Ausschlag. Nathanael kehrte der Schatzkammer den Rücken und ging dem Söldner entgegen.
Er begegnete dem Blick der blauen Augen. Der Bärtige lächelte und holte mit dem Dolch aus.
Nathanael machte auf dem Absatz kehrt und flitzte los. Er ignorierte das Wutgebrüll hinter sich und konzentrierte sich ganz darauf, sein Tempo zu steigern.
Etwas traf ihn an der Schulter. Er jaulte auf wie ein Tier, stolperte, rannte aber weiter. Über die Schwelle in die Schatzkammer, schon war er bei den grünen Fliesen…
Humpelnde Schritte, ersticktes Husten.
Nathanael machte einen Riesensatz…
Kam auf, stürmte weiter.
Um ihn herum zischte es wie von tausend Schlangen, fahlgrüner Dampf stieg von den Fliesen auf.
Da – der Sockel mit den Schätzen! Gladstones Stab, ein mit Juwelen bestickter Handschuh, eine antike, blutbespritzte Geige, Pokale, Schwerter, Schmuckkästchen und Wandbehänge. Nathanael hatte nur Augen für das Amulett.
Grüner Dampf hüllte alles ein und brannte ihm auf der Haut, dann verwandelte sich das Brennen in einen beißenden Schmerz, es roch angesengt.
Hinter ihm hustete jemand und etwas streifte seinen Rücken.
Nathanael packte die Kette, riss sie von ihrem Ständer. Dann machte er noch einen Satz, drehte sich blitzschnell in der Luft, landete auf dem Schatzhaufen. Edelsteine prasselten zu Boden, Nathanael rollte sich ab und landete auf der anderen Seite des Sockels auf den Bodenfliesen. Es stach ihm in den Augen, er kniff sie zu, seine Haut brannte wie Feuer. Er hörte einen dumpfen Schmerzensschrei und erkannte seine eigene Stimme.
Mit geschlossenen Augen legte er sich die Kette um, spürte das Amulett von Samarkand auf der Brust.
Die Schmerzen ließen schlagartig nach. Seine Haut brannte immer noch, aber es war bloß noch ein erträgliches Prickeln. Nur seine Schulter pochte böse. Er hörte jemanden flüstern, öffnete probehalber ein Auge – und sah um sich herum die Pestilenz gierig brodeln, sah, wie sie auf ihn zustrebte und von dem Jadestein im Amulett unerbittlich eingesogen wurde.
Nathanael hob den Kopf. Auf dem Rücken liegend, sah er die Decke, ein Stück Marmorsockel, den allgegenwärtigen Dampf, sonst nichts.
Wo…?
Jemand hustete. Vor dem Sockel.
Nathanael reagierte. Nicht schnell, aber so schnell er eben konnte. Wegen der verletzten Schulter musste er den rechten Arm schonen, aber er stemmte sich mit dem linken Ellbogen hoch, bis er saß, dann stand er mühsam auf.
Ihm gegenüber stand der Söldner, von grünem Dampf umnebelt, den Dolch in der Hand, den Blick starr auf Nathanael gerichtet. Aber er stützte sich schwer auf den Sockel und hustete bei jedem Luftholen.
Er richtete sich auf und kam mühsam um den Sockel herumgehumpelt.
Nathanael wich zurück.
Der Bärtige bewegte sich vorsichtig, als bereitete ihm jede Bewegung unerträgliche Schmerzen. Er achtete nicht auf die Pestilenz, die seinen Umhang zersetzte, sich in seine schwarze Kleidung und die dicken schwarzen Socken fraß. Er trat einen Schritt zurück.
Nathanael stieß mit dem Rücken an die hintere Wand der Schatzkammer. Weiter konnte er nicht zurückweichen. Er stand mit leeren Händen da, denn die Wurfscheibe hatte er irgendwann fallen lassen. Er war wehrlos.
Die Pestilenz verdichtete sich um den Söldner. Der Bärtige zog eine Grimasse, vielleicht vor Angst, vielleicht vor Schmerzen. Ließen seine
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