Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
Zwei
Bartimäus
Alexandria, 126 v. Chr.
An einem heißen Mittsommermorgen brach ein heiliger Stier aus seinem Gehege am Fluss aus, tobte durch die Felder, schnappte nach den Fliegen und stieß mit den Hörnern nach allem, was sich bewegte. Er hatte schon drei Männer, die versucht hatten, ihn wieder einzufangen, schwer verletzt. Er stampfte durchs Schilf und stand plötzlich auf einem kleinen Weg, auf dem Kinder spielten. Als sie schreiend davonliefen, hielt er scheinbar unschlüssig inne, aber das Glitzern der Sonne auf dem Wasser und die weißen Hemden der Kinder reizten ihn. Mit gesenktem Kopf preschte er auf ein Mädchen los und hätte es gewiss aufgespießt oder totgetrampelt, wären nicht zufällig Ptolemäus und ich vorbeigekommen.
Der Prinz hob die Hand. Ich gehorchte. Der Stier blieb mitten im Galopp stehen, als wäre er gegen eine Mauer geprallt. Mit schlenkerndem Kopf und schielendem Blick brach er zusammen und blieb im Staub liegen, bis ihn die Diener mit Stricken bändigten und wieder auf seine Weide führten.
Ptolemäus wartete, bis seine Begleiter die Kinder beruhigt hatten, dann setzte er seinen Verdauungsspaziergang fort. Den Zwischenfall erwähnte er mit keinem Wort mehr. Dessen ungeachtet war bei unserer Rückkehr in den Palast bereits ein ganzer Schwarm von Gerüchten in Umlauf. Noch ehe es dunkel wurde, hatte die ganze Stadt, vom niedrigsten Bettler bis zum hochnäsigsten Priester des Re, von dem Vorfall oder einer ausgeschmückten Version davon gehört.
Wie gewöhnlich war ich noch spätabends über die Basare gebummelt, hatte dem Gesumm der Stadt gelauscht, dem Strom von Neuigkeiten, den die Menschenflut hin und her spülte. Mein Herr und Meister saß im Schneidersitz auf dem Dach seiner Unterkunft und kritzelte abwechselnd auf einen Papyrusstreifen oder schaute übers Meer. Ich landete in Kiebitzgestalt auf dem Gesims und blickte ihn mit blanken Knopfaugen an.
»Auf den Marktplätzen spricht man nur noch von Euch und dem Stier.«
Er tunkte den Griffel in die Tinte. »Na und?«
»Nichts ›na und‹. Oder doch. Das Volk munkelt.«
»Was munkelt es?«
»Dass Ihr ein Zauberer seid, der mit Dämonen im Bunde steht.«
Er lachte und malte eine zierliche Ziffer. »Das stimmt doch auch.«
Der Kiebitz trommelte mit den Krallen. »Ich protestiere! Die Bezeichnung ›Dämon‹ ist irreführend und obendrein kränkend!« 1
(Man beachte meine vornehme Zurückhaltung. Damals war mein Konversationsniveau noch ziemlich hoch, was an Ptolemäus Einfluss lag. Er hatte so eine Art, die einen davon abhielt, allzu ordinär, lästerlich und dreist zu werden, und brachte mich sogar so weit, dass ich meinen Gebrauch der im Nildelta verbreiteten ägyptischen Umgangssprache einschränkte. Nicht dass er mir je den Mund verboten hätte, aber es war einem hinterher immer irgendwie peinlich. Auch derbe Flüche waren pfui-bäh. Eigentlich erstaunlich, dass mir überhaupt noch Wortbeiträge einfielen. )
Ptolemäus legte den Griffel nieder. »Man soll nicht so viel auf Namen und Titel geben, lieber Rekhyt. Letztlich sind es nur Annäherungen, die der Bequemlichkeit dienen. Die Leute sagen so etwas, weil sie es nicht besser verstehen. Erst wenn dich jemand richtig kennt und trotzdem kränkt, hättest du Grund, dich aufzuregen.« Er grinste mich schief an. »Was durchaus nicht unwahrscheinlich ist.«
Ich spreizte die Flügel und ließ die Meeresbrise mein Gefieder zausen. »Unterm Strich kommt Ihr bei den Geschichten, die in Umlauf sind, ganz gut weg. Aber denkt an meine Worte, bald heißt es noch, Ihr selber hättet den Stier losgelassen.«
Er seufzte. »Eigentlich ist mir mein Ruf ziemlich gleichgültig, sei er nun gut oder schlecht.«
»Euch mag Euer Ruf ja gleichgültig sein«, entgegnete ich ernst, »aber für gewisse Bewohner dieses Palastes ist er eine Frage von Leben und Tod.«
»Nur für solche, die im trüben Gewässer der Staatsgeschäfte ertrinken«, entgegnete er, »und denen bedeute ich nichts.«
»Hoffen wir’s«, erwiderte ich mürrisch, »hoffen wir’s. Was schreibt Ihr da eigentlich?«
»Ich halte fest, was du mir von den Elementenmauern zwischen den Welten berichtet hast. Also verzieh nicht den Schnabel und erzähl mir mehr darüber.«
Na schön, dann eben nicht. Es hatte wenig Zweck, sich mit Ptolemäus anzulegen.
Von Anfang an war er ein sonderbarer Herr mit abwegigen Neigungen. Der Erwerb von Reichtum, Ehefrauen und Filetgrundstücken am Nilufer – mithin die althergebrachte
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