Bastard
zu stellen, und ich begreife nicht, wie Sie so etwas dulden können. Vielleicht haben Sie das ja auch nicht getan und ahnen gar nichts von dieser bedauerlichen Geschichte. Aber wie kann das sein? Schließlich sind Sie die Leiterin, und da ich Sie nun am Telefon habe, können Sie mir ja möglicherweise erklären, warum es fair, angemessen oder überhaupt legal ist, dass sich jemand in seiner Position in diese Sache einmischt und so viel Macht hat.«
Das Wort Vorsicht blitzt in meinen Gedanken auf wie ein neonrotes Warnsignal.
»Es tut mir leid, falls Sie sein Verhalten als unhöflich und wenig hilfsbereit empfunden haben sollten.« Ich höre auf meine eigene Warnung und bin auf der Hut. »Sie verstehen doch, dass wir unsere Fälle nicht mit …«
»Dr. Scarpetta.« Durchdringende Klavierklänge im Hintergrund, als wechselte die Musik mit ihrer Stimmung – oder umgekehrt. »Das würde ich niemals tun, das versichere ich Ihnen«, beteuert sie. »Würden Sie mich bitte entschuldigen, während ich die Musik leiser mache? Wahrscheinlich kennen Sie Valentina Lisitsa nicht. Wenn ich nur einfach zuhören könnte, ohne dass diese schrecklichen Dinge in meinem Kopf scheppern und krachen, als schlüge jemand Töpfe und Pfannen aneinander! Mein Briefpapier, meine Schreibmaschine. Mein Sohn! O Gott, o mein Gott.« Die Musik verstummt.
»Ich habe Dr. Fielding keine neugierigen Fragen über ein Mordopfer, geschweige denn ein Kind gestellt. Sollte er behaupten, dass das der Grund meines Anrufs war, entspricht es nicht den Tatsachen. Gut, ich will nicht um den heißen Brei herumreden. Es ist eine Lüge. Eine gottverdammte Lüge. Allerdings wundert es mich nicht.«
»Sie hatten angerufen, weil Sie mich sprechen wollten«, erwidere ich, weil mir sonst nur noch ihre Äußerungen über Johnnys Unschuld und seine Allergien bekannt sind, die sie gegenüber Bryce gemacht hat. Offenbar ahnt sie nicht, dass weder ich noch, wie es inzwischen aussieht, sonst jemand Gelegenheit hatte, mit Fielding zu sprechen. Je mehr ich abwiegle oder gar nicht erst auf sie eingehe, desto lauter wird sie werden – und umso mehr wird sie mir verraten.
»Ende letzter Woche«, entgegnet sie mit Nachdruck. »Da Sie hier die Leitung haben und ich mit Dr. Fielding nicht weitergekommen bin. Sicher haben Sie Verständnis für meine Besorgnis und teilen meine Auffassung, dass die Situation für mich untragbar ist, wenn es nicht sogar gegen das Gesetz verstößt. Also wollte ich mich beschweren. Tut mir leid, dass Sie einen solchen Empfang hatten. Als mir klarwurde, wer Sie sind und dass es sich bei dem Anruf nicht um einen schlechten Scherz handelt, war mein erster Gedanke meine Beschwerde über Ihr Institut. Bis jetzt ist es nicht so offiziell, wie es sich anhören mag, zumindest noch nicht, auch wenn unser Anwalt und der Justitiar des CFC bereits informiert sind. Aber vielleicht brauche ich nun ja keine weiteren Schritte mehr zu unternehmen. Es hängt davon ab, worauf wir beide uns einigen können.«
Worauf einigen? , denke ich, frage jedoch nicht nach. Sie wusste also, dass ich nach Hause komme, was ebenfalls dem Inhalt des angeblich von ihr stammenden Briefes an mich widerspricht – obwohl es andererseits erklären würde, warum
ich am Flugplatz in Hanscom von einem Fahrer erwartet worden bin.
»Was steht in dem Brief? Können Sie ihn mir vorlesen? Was hindert Sie daran?«, beharrt sie.
»Ist es möglich, dass jemand aus Ihrer Familie mir auf Ihrem Briefpapier und mit Ihrer Schreibmaschine geschrieben hat?«, erkundige ich mich.
»Mit meiner Unterschrift?«
Ich antworte nicht.
»Wie ich annehme, ist das Schreiben, das Ihnen vorliegt, mit meinem Namen unterzeichnet. Sonst würden Sie ja nicht glauben, dass es von mir ist. Schließlich könnte die eingeprägte Adresse genauso gut auf meinen Mann hinweisen, aber der ist seit Freitag auf Geschäftsreise in Japan, obwohl der Zeitpunkt wirklich ausgesprochen ungünstig ist. Außerdem würde er nie so etwas schreiben. Auf gar keinen Fall.«
»Der Brief ist angeblich von Ihnen«, erwidere ich, ohne hinzuzufügen, dass er mit »Erica« über ihrem in Kursiv getippten Namen unterschrieben und das Kuvert mit schwarzer Tinte in einer verschnörkelten Schrift adressiert ist.
»Das alles belastet mich sehr. Ich verstehe nicht, warum Sie mir den Brief nicht vorlesen. Ich habe ein Recht darauf, zu wissen, welche Behauptungen jemand in meinem Namen in die Welt setzt. Vermutlich wird sich doch unser Anwalt mit
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