Bastarde (Von den Göttern verlassen) (German Edition)
Blume zu sehen. Während seine weiß war, blühte ihre schwarz. Klein und unauffällig am rechten Rand ihrer beiden Hände bildeten die zwei Blumen eine und vereinigten sich. Halif staunte über Nadine. Er kannte die einzelnen Sprüche, aber auf eine solche Kombination wäre er niemals gekommen. Sie hatte schnell gelernt. Wenn er an das kleine weinende Mädchen dachte, das zwei Tage für den einfachsten Spruch gebraucht hatte, musste er lächeln. Alles um Nadine heru m schien zu gedeihen und blühen. Auch Halif machte da keine Ausnahme.
Wenn er sich nun unruhig fühlte, schaute er auf seine Handfläche und wusste, es ging Nadine gut. Er sah wie sich die Blüte bei Nacht schloss, um am nächsten Tag beim ersten Sonnenstrahl wieder zu erblühen. Das Band zwischen ihnen wurde stärker und beide konnten sich ein Leben ohne den anderen nicht mehr vorstellen.
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Es geschah an einem Tag, an dem Nadine nicht in die Bibliothek kam und Halif war dankbar dafür. Er hörte plötzlich Schritte - die schweren Schritte eines Mannes - und hüllte sich in Dunkelheit. Eine Gestalt gekleidet in einer weißen Robe, die Haare weiß wie das Gewand, die Augen in die Ferne gerichtet und leer. Das zerfurchte Gesicht zeugte von hohem Alter. Verwunderte studierte Halif das Gesicht des Mannes. Es war menschlich, doch innen schien alles Menschliche gestorben zu sein, verdorrt.
So zerklüftet sein Gesicht doch war, konnte man ihn alt nicht nennen. Seine Schritte waren kräftig, auch wenn sein Gesichtsausdruck von Verwirrung gezeichnet war. Er steuerte auf eines der Regale zu und murmelte vor sich hin. Halif verstand nur einzelne Satzfetzen.
„... muss mich erinnern ...“
„... nie wieder so wie damals ...“
„... nur zum Erinnern ...“
„... Nie wieder ...“
„... keine Magie ... nirgends ... nie wieder ...“ Er streckte seine Hand in Richtung des Regals aus. Sie gefror in der Luft, kurz bevor sie die Bücher berührte und zitterte.
„Keine Magie ...“, flüsterte sie Gestalt und das Zittern ergriff den ganzen Körper. Doch das Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. Die zitternde Hand griff nach einem Buch in dem Regal, riss es heraus. Doch es schnappte zurück, als die Hand, die kräftig gezogen hatte, wieder losließ.
Halif hörte ein schnappendes Geräusch. Alles war für einen Moment still. Als er plötzlich ein Klicken und Klacken vernahm und das Quietschen von Zahnräder, die seit langer Zeit nicht geölt worden waren. Halif spürte keine Bewegung auf der magischen Ebene. Und doch er sah deutlich, wie sich die Bücherregale von alleine bewegten und sich die Wände dahinter teilten. Nachdem der Mann durch das Loch in der Wand verschwunden war, schloss es sich wieder. Wieder ein Quietschen, Knatschen und Rattern. Jedoch keine Magie.
*
Morphis war wieder in dem Raum. Eine Erinnerung an das Vergangene, das nie wiederkehren würde. Dafür würde er Sorge tragen. Sein persönlicher Altar des Grauens. Die Erinnerung an eine Zeit ohne jede Magie. Allein der Gedanke ließ ihn aufheulen. Sein Körper verkrampfte sich und er zitterte wieder unkontrolliert. Am liebsten würde er es vergessen, irgendwo in die hinterste Ecke seines Geistes verbannen. Wo es vor sich hindümpeln konnte, bis die Erinnerung völlig verlosch.
Aber Morphis wusste, dass es so nicht funktionierte. Nicht für ihn. Er war ein Schlüssel. Nein er war DER Schlüssel, dazu erschaffen, sich zu erinnern, damit andere vergessen konnten. Ungeliebten Erinnerungen blieben, während schöne, genussvolle Erinnerungen verblassten.
Wie war ihr Name? Wie war ihre Haarfarbe? Ihr unvergesslicher Duft, doch nach was hat sie gerochen? Ja so etwas vergaß man schnell. Aber die Erinnerungen, die man nicht haben wollte, die man so tief wie möglich verbannte, um sie nicht immer und immer wieder durchleben zu müssen, die gruben ihre Wurzeln tief in den Geist. Je tiefer man sie verbannte, desto tiefer, stärker und vernetzter wurden sie. Gruben sich immer weiter in das Unterbewusstsein und fingen von dort an zu arbeiten.
Er konnte diese Erinnerungen herausnehmen, die Menschen davon befreien. Diese Gabe hatte er. Aber um die Wurzeln dazu zu bringen sich zu lösen, musste man ihnen einen Nährboden bieten. Einen besseren, als den des gegenwärtigen Wirtes. Und welcher Nährboden war verlockender als ein hunderte von Jahren alter Geist, der noch Jahrhunderte existieren würde.
Morphis dachte an die Erinnerungen, die er sich in all den Jahrhunderten angeeignet hatte
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