Bator, Joanna
Zimmer mit
Küche hinterlassen hat. Ein, zwei Wochen lang geht es unter den aufgeregten
Schulkameraden von Mund zu Mund, dass Mirek überlebt habe, aber im Rollstuhl
sitzen muss. Das stimmt nicht ganz. Keiner aus der Klasse wird Mirek Tutka
jemals wiedersehen, während er acht Jahre lang, bis zum gnädigen Tod an einer
Grippekomplikation, auf einen Punkt in der rissigen Ode der Zimmerdecke der
Anstalt blicken wird, in der er liegt und sich mit sechs gleichgesinnten
Springern einen Rollstuhl teilen muss. Nur die Glückspilze, die ab und zu mal
Besuch bekommen, werden gewaschen, gekämmt und mit Schlafmitteln benebelt in
den Rollstuhl gesetzt. Bevor die entsprechenden Kommissionen untersucht
hatten, was passiert war und wie, bevor vermessen und verurteilt wurde, war der
Winter gekommen, Rost hatte die Rohre zerfressen, das Schwimmbad fror zu, die
Schwimmhilfen aus Styropor und die Rettungsringe erstarrten im Eis. In einer
Januarnacht zerschlug jemand das Fenster, stieg ein und klopfte die graugrünen
Kacheln von einer Wand ab, bald verschwanden auch die von den anderen Wänden
sowie die Armaturen aus dem Waschraum der Mädchen. Jetzt erprobten die Schüler
ihre Kräfte im Gruppensport sowie im Laufen um den Sportplatz, und letztere
Fähigkeit kam Dominika auf ihren Wegen durch den Busch sehr zugute.
Immer öfter
kommt es vor, dass unter den Männern, die dort als Aschenbecher schlafen,
Stefan ist, ihr Vater. Im karierten Hemd und zerknitterten Hosen träumt er von
der österlichen Speisekammer. Sein Mund steht offen, über die Wange läuft ihm
ein Speichelfaden, der aussieht wie die schleimige Spur einer Schnecke.
Dominika späht wachsam wie ein Pionier, schon von weitem kann sie ihren Vater
erkennen, dann rennt sie den Abhang von Piaskowa Göra hinunter, um nicht in
Tränen auszubrechen. Dimitri läuft neben ihr her, die Holunderzweige schrammen
ihre Gesichter, sie rutschen durch Hundehaufen, springen über alte Sofas,
stolpern über Schlafende, Kotzende, Halbtote. In aufrechter Haltung hat Stefan
allerdings durch seine Körpergröße Vorsprung vor seiner Tochter, und bevor er
aus der vertikalen Phase in die horizontale rutscht, erspäht er sie manchmal
zuerst. Mein Töchterchen, komm zum Papa! Die väterlichen Küsse fallen wie
Steine, brennen wie Eis. Die Musterschülerin. Nichts als Einser, von oben bis
unten. Von mir hat sie das Köpfchen, von ihrem Papa, prahlt Stefan vor seinen
Kumpeln, die wie aus stumpfen Teddybäraugen glotzen. Einige wissen schon, wie
man sich das Esperai mit dem Messer herausschneidet, das tut weniger weh als
der ständige Durst, der nicht zu stillen ist. Jetzt kommt Dimitri an die Reihe.
Ohne Dominika aus der Umklammerung zu entlassen, wendet Stefan sich an ihn: Na,
Brüderchen, was machst du denn hier? fragt er. Er zwinkert seinen Kumpeln zu,
den alten Hasen vom Busch, die Männer rotten sich vor dem Jungen zusammen. Ein
Junge und ein Mädchen im Busch! Im Busch ein Mädchen mit einem Jungen! Gleich
wird die Meute dem Grünschnabel einheizen, der sich auf ihr Terrain gedrängt
hat. Dimitri ist einer von ihnen, aber es wird noch dauern, bis er ihren Platz
einnehmen kann. Sieh dich bloß vor, Brüderchen! droht Stefan dem Jungen im
Scherz, und Dominika sagt flehend: Papa, bitte! Sieh dich bloß vor, sonst ...
Stefan der Komödiant tut so, als renne er dem Jungen hinterher, scharrt mit den
Füßen auf der Stelle und rudert mit den Armen in der besoffenen Pantomime
eines Sprints. Dominika kriegt zum Abschied einen Klaps auf den Po, und so
verpopschelt sehnt sie sich nach dem Schaukelpferd, das zu fliegen begehrt, das
sie aber in ihrem geschrumpften und nach Alkohol stinkenden Vater nicht mehr
entdecken kann. Papa, bettelt sie vergeblich, geh doch am Sonntag mit mir ins
Schwimmbad.
Stefan trank
immer so lange, wie er zu Trinken hatte, ebenso wie er auch so lange aß, bis
alles aufgegessen war. Zwischen zwei Besäufnissen hatte es früher allerdings
Perioden völliger Nüchternheit gegeben. Das Trinken bekam ihm nicht, er wurde
krank und kotzte, bis nur noch grünlich-galliger Schleim mit Blutklümpchen
kam. Über die Kloschüssel gebeugt schwor er sich und Jadzia auf Knien, dass er
sich nie wieder so zurichten würde. Er schlug sich an die Brust und gelobte
Besserung, bis er mit dem Kopf auf dem Altar aus weißem Porzelit einschlief.
Bald aber geriet Stefans Entschluss ins Wanken, er spekulierte, dass doch
unmöglich Wodka oder Bier oder sogar beide zusammen ihn derartig zugerichtet
haben
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