Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
zum Weinen brachte. Es dauerte, bis sie sich fing. »Wieso? Wer hat ihm das angetan?«
»Das versuchen wir herauszufinden. Warum hat Ihr Mann Sie geschlagen?«
»Ich bin angetrunken gewesen und habe ihm Vorwürfe gemacht. Er hätte mein Leben verpfuscht«, sie schüttelte den Kopf und schwieg einige Sekunden. Wieder rollten Tränen. »Wissen Sie, so eine Entgiftung ist wie ein frischer Wind, der durch eine muffige Bude weht. Sie sehen die Dinge neu, losgelöst von festgefahrenen Standpunkten. Zu einer kaputten Beziehung tragen immer beide bei. Ich bin damals mit ihm hierher und wie er voller Enthusiasmus gewesen, doch eigentlich ist mir schon nach wenigen Wochen klargewesen, dass das Leben auf dem Land für mich nicht taugt. Die Kinder, ein paar Urlaube, guter Sex und die Anfeindungen, die wir gemeinsam durchgestanden haben, konnten das phasenweise übertünchen. Aber dann wurden die Kinder groß, und alles andere fiel auch nach und nach weg, da bin ich ins Leere gestürzt. Bloß, anstatt mit Horst zu reden und mich durchzusetzen, habe ich zur Flasche gegriffen.« Wieder sah sie sehnsüchtig zur Schrankwand.
»An dem Tag, an dem Alexander gegangen ist, sind wir endgültig auseinandergebrochen. Horst hat sich aus der Politik und allen Ämtern zurückgezogen, so sehr hat er sich wegen des Vorfalls geschämt. Und er hat sich weitgehend von mir abgewendet, ist in ein eigenes Schlafzimmer gezogen, konnte mir nicht verzeihen, wie sehr ich ihn bloßgestellt hatte. Für ihn war ich auch der Grund, dass Alexander weg ist. Jahrelang kaum ein nettes Wort, laufend ist er unterwegs gewesen. Und ich habe langsam aber sicher immer mehr gesoffen. Schließlich habe ich mein Auto zu Schrott gefahren und den Führerschein abgegeben, doch Horst hat immer nur geschwiegen. Im vergangenen Jahr hat es dann plötzlich eine Veränderung gegeben. Horst ist nach Koblenz gefahren, um mit Alex seinen Frieden zu finden, und mich hat er im September unvermittelt gefragt, ob ich mit ihm Urlaub machen wolle. Unter einer Bedingung: kein Alkohol. Das ist wie ein warmer Sonnenstrahl nach langem Winter gewesen, und ich habe entgiftet und mich zusammengerissen. Wir sind in der Toskana gewesen.« Ein Lächeln erhellte kurz ihre verhärmten Züge.
»Kultur, Sonne und die Distanz zu allem, was uns hier auseinanderhält, hat uns wieder angenähert. An einem Abend in San Gimignano haben wir toll gegessen und zurück auf unserem Zimmer hat er mich geküsst, und wir haben miteinander geschlafen. Stellen Sie sich das vor. Wie junge Leute. Es war der schönste Abend seit einer Ewigkeit. Ich habe neuen Glauben an uns gewonnen«, sie hing ihren Erinnerungen nach, bis das Zittern zurückkehrte, und erneut zogen ihre Hände den Bademantel enger um die Schultern.
»Was ist dann passiert?«
»Hier zu Hause hat das Glücksgefühl wochenlang angehalten. Ist fast annähernd wieder normal gewesen. Aber so um Allerheiligen herum bin ich mutig geworden und habe ihn gebeten, mit mir in die Stadt zu ziehen. Der Hof ist bei Roland gut aufgehoben, und wir hätten uns davonmachen können. Oder?« Tränenverhangen blickten ihre müden Augen ihn fragend an. Lichthaus nickte.
»Es war dumm von mir, denn er war damals schon wieder verändert. Abwesend und zurückgezogen, hat irgendwie bedrückt gewirkt. Ich habe an eine Chance geglaubt, doch das war ein Fehler. Ich sei übergeschnappt, hat er gebrüllt. Völlig ausgerastet ist er. Hier sei sein Platz. Noch am selben Abend habe ich wieder mit dem Alkohol angefangen, bin schwach und feige gewesen, habe den Kampf widerstandslos aufgegeben. Seitdem ist es schlimmer als je zuvor. Nach sechs können Sie mich vergessen, Herr Kommissar. Vor zehn Tagen dann ist es zum Streit gekommen. Er hat herumgeschrien, warum ich ihn im Stich lassen würde.«
»Was hat er damit gemeint?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Eventuell die Bedrohungen«, sie wies mit zitternden Fingern auf Lichthaus’ Smartphone, das dieser auf den Tisch gelegt hatte. »Da ich fast hinüber gewesen bin, bin ich ausnahmsweise laut geworden und habe zurückgekeift, ich könne auf seine Sorgen pfeifen, und er habe mich genauso im Stich gelassen, und dass ich mich totsaufen wolle. Er sei mir egal. Die zwei Ohrfeigen, die er mir gegeben hat, waren reine Verzweiflung, das sehe ich jetzt ganz klar. Ich hab es versaut, weil ich nicht um ihn – um uns – gekämpft habe.«
»Ihre Söhne, wie haben die auf den Vorfall reagiert?«
»Die beiden leben und denken in anderen
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