Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
»Säufervisage, was?« Ihre Stimme war brüchig wie altes Pergament, doch die Pupillen starrten stahlhart aus einer von roten Adern umgebenen Iris. Sein Handy verschonte ihn davor, eine Antwort geben zu müssen. Erst beim zweiten Läuten erkannte er seinen neuen Klingelton und beeilte sich dranzugehen, denn in einem Rückfall in längst vergangene Tage hatte er gestern »Overkill« von Motörhead ausgewählt. Der Hardrock hackte völlig unpassend in die Situation.
Es war Siran: »Chef?«
»Ja.«
»Ich habe zwei Drohbriefe bei den Unterlagen aus Görgens Schreibtisch gefunden.«
Lichthaus schielte zu seinen Gegenübern. Die beiden lauschten auf jedes Wort. »Schick mir sofort Kopien. Ich kann jetzt nicht sprechen.« Er beendete das Gespräch und wandte sich Renate Görgen zu: »Es tut mir sehr leid, was mit Ihrem Mann geschehen ist.« Ihre Augen begannen zu schwimmen, und eine einzelne Träne kullerte über ihre Wange. »Trotzdem muss ich einige Fragen mit Ihnen klären.« Sie nickte leicht. »Wann hat er am Abend seines Todes das Haus verlassen?«
»Ich weiß gar nichts. Ich habe mich besoffen. Hart und schnell, so wie immer.«
»Hat es dafür einen besonderen Grund gegeben?«
»Einen Grund brauche ich schon lange nicht mehr. Eiern Sie nicht so rum, die Alkoholikerin sieht man mir auf hundert Meter an. Nur war es zuletzt noch schlimmer. Mein ...«
»Mama, ich glaube nicht, dass ...« Alexander unterbrach seine Mutter in eindringlichem Ton, doch sie hob eine zitternde Hand und fuhr fort: »Horst hat mich vor zehn Tagen das erste Mal in über vierzig Jahren Ehe geschlagen.« Ihr Blick irrte herum und heftete sich dann auf die Schrankwand. Das Zittern nahm zu und Lichthaus vermutete hier ihren Alkoholvorrat.
»Warum?«
Unbewusst griffen ihre Finger die Tischdecke und begannen diese mechanisch zu falten und wieder auseinanderzuklappen. Ihre Hände waren übersät mit Pigmentflecken, wie sie normalerweise nur sehr alte Menschen haben. »Ich, nun ich ...«, sie schlang die Arme eng um den Oberkörper, wippte leicht vor und zurück und schluchzte.
»Hören Sie auf. Ich befehle Ihnen aufzuhören! Sie versündigen sich mit Ihren Unterstellungen.« Alexander sprang auf.
»Ich breche sofort ab, wenn Ihre Mutter mich darum bittet.«
»Nein, Sie verschwinden auf der Stelle. Sie hat nichts mit dem Mord zu tun.« Er fuchtelte wild mit seinem Zeigefinger hin und her.
»Das habe ich auch nicht gesagt. Würden Sie uns bitte allein lassen. Ich verspreche, sobald ...«
»Schluss jetzt. Raus!« Er brüllte und griff nach Lichthaus’ Arm, doch der entzog sich und stand ebenfalls auf. »Reißen Sie sich zusammen, sonst nehme ich Sie fest!« Lichthaus spannte die Muskeln.
»Das wagen Sie nicht.«
»Alexander, geh!« Renate Görgens Stimme vibrierte, klang aber entschlossen, obwohl sie einem Zusammenbruch nahe schien. Nach langen Sekunden verließ Görgen wutschnaubend das Zimmer. Die Tür knallte, und es herrschte Ruhe.
»Für ihn ist es in letzter Zeit auch nicht rosig. Setzen Sie sich bitte, Herr Kommissar.« Sie schloss die Augen und das Zittern wurde zum Schüttelfrost. »Tut mir leid, ich habe Ihren Namen vergessen. Können wir es kurz machen, ich bin am Entgiften, mir geht es nicht so gut.«
»In Ordnung. Sie waren also am Tatabend stark alkoholisiert und besitzen keine Erinnerungen an den Ablauf?«
Sie nickte. »Elzbieta ist dann morgens in mein Zimmer gekommen – mein Mann und ich, wir schlafen getrennt – und hat mir erzählt, dass man Horst tot aufgefunden hat.« Ihre Nase lief, doch sie schien den Rotz auf ihrer Oberlippe nicht zu bemerken. »Eigentlich bin ich erst mittags zu mir gekommen.«
Lichthaus’ Handy piepste. »Entschuldigung.«
Er öffnete die Datei und sah das Schreiben en miniature vor sich, während Renate Görgen auf dem Sofa wegdämmerte.
Er las die wenigen Zeilen: »Denn hast dein gottloses und falsches Maul gegen mich aufgetan und redest wider mich mit falscher Zunge. Wenn du gerichtet wirst, musst du verdammt ausgehen. Deine Kinder müssen Waisen werden und dein Weib eine Witwe.«
Um weitere Störungen zu vermeiden, schaltete er das Gerät stumm. »Ist Ihr Mann bedroht worden?«
Sie zuckte zusammen. »Wie bitte?« Lichthaus wiederholte seine Frage. »Nein, davon weiß ich nichts, aber er hat mir ja schon lange nichts mehr über den Hof oder auch nur irgendetwas Persönliches erzählt. Es war ihm klar, dass ich das Hiersein hasste.«
Er zeigte ihr den Drohbrief, der sie endgültig
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