Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
»Hätte Sophie Sie nicht unter Druck gesetzt, wäre ich tot und ein Serienkiller würde immer noch sein Unwesen treiben. Also halten Sie ganz einfach den Mund, bevor ich die Beherrschung verliere.«
Müller legte alle Contenance ab und schrie nun auch: »Wollen Sie mir drohen, Lichthaus?«
Brauckmann griff ein: »Meine Herren, ich muss doch sehr bitten!« Aber niemand achtete auf ihn.
»Lassen Sie Steinrausch in Ruhe. Er ist schon reif für den Psychiater, und ich werde nicht zulassen, dass Sie mit ihm die gleiche Nummer abziehen wie mit mir damals, denn im Gegensatz zu Ihnen stehe ich zu meinen Leuten.«
Müller war rot angelaufen. Seine Stimme wurde schrill und krächzend wie die eines belfernden Weibs: »Sie versauen die Einsätze und ...«
»Sie trauen sich doch nur hinter Ihrem Schreibtisch hervor, um es in der Kantine mit einem Schnitzel aufzunehmen!« Lichthaus kotzte jetzt den Frust eines grausigen Tages hinaus. »Wie Ihr Praxiseinsatz ausgegangen ist, wissen wir ja alle. Lassen Sie mich bloß in Ruhe! Sie können sich denken, was passiert, wenn Sie nicht aufpassen.« Und noch ehe jemand etwas erwidern konnte, krachte er die Tür ins Schloss, dass der Rahmen knirschte. Das Letzte was er sah, war Oliver Brauckmanns fassungsloses Gesicht.
Er eilte wortlos an dem ihn anstarrenden Siran vorbei, stieß die Ausgangstür heftig gegen die Wand, und pumpte die klare Luft in seine Lungen. Dann ging er hinaus auf die Felder, einfach fort von diesem Ort des Grauens. Er fror wie einst, als er in den Klauen des Mörders fast gestorben war. Spürte die Kälte in sich aufsteigen, die bis tief ins Mark reichte, und musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu schreien. Das Wasser rauschte wieder, doch er wehrte sich gegen den Strudel, der ihn erneut beherrschen wollte, kämpfte verbissen mit den Dämonen der Vergangenheit. Und gewann.
Als er einen Feldweg erreichte, hatte er sich fast beruhigt. Sein Herz schlug gleichmäßig und auch der panikgetriebene Schweißausbruch ebbte ab. Er atmete ein wenig auf, spürte aber unter der Oberfläche die nagende Angst vor einem Rückfall. Der Einsatz vor knapp zwei Jahren hatte ihn lange verfolgt, und nur der Liebe Claudias und der Hilfe von Frederik Busse, dem Polizeipsychologen, war es zu verdanken, dass er jetzt seinen Dienst erfüllen konnte, dass er nicht unter dem Druck der Erinnerung zusammengebrochen war. Die ersten Monate waren schlimm gewesen, und heute hatte er zu spüren bekommen, wie fragil die Konstruktion war, die ihn aufrechthielt.
*
Claudia strich sanft mit dem Feinspatel über den Ton, um die feinen Unebenheiten auszugleichen. Ein kleiner Krümel blieb zurück, und sie rieb ihn vorsichtig weg. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, denn der Ton war warm, hatte fast etwas Organisches, Lebendiges.
Johannes hatte nicht verstehen können, warum sie auf einmal von der Staffelei weg und nun dreidimensional gestalten wollte. Er erkannte nicht ihre Flucht aus der Malerei. Sie hatte im Laufe der Zeit mehrere Themen und Techniken ausprobiert, hatte Radierungen und Holzdrucke erstellt, hatte sehr abstrakt, dann wieder gegenständlich gearbeitet, hatte hart gekämpft, sich neben Kind und Mann Raum freigeschaufelt um zu malen, bis der Durchbruch gekommen war. Im vergangenen Jahr hatte sie das Fachpublikum über eine Ausstellung in Luxemburg auf sich aufmerksam machen können. Sie hatte schon früher einige Bilder verkauft, aber nun kamen Besprechungen ihrer Arbeiten in Fachzeitschriften, und die Käufer fanden den Weg in ihr Atelier. Die Verkaufspreise gingen deutlich nach oben, und sie leistete sich eine Putzhilfe, nur um noch verbissener zu Werke zu gehen. Die Auszeichnung mit dem Kunstpreis war eine weitere Bestätigung. Leider machte ihr der Erfolg Angst, denn sie verspürte den Druck, das Gewünschte schnell liefern zu müssen und dabei nicht die Stücke zu erstellen, die ihrer Inspiration folgten. Die Plastiken bedeuteten mehr oder weniger eine Möglichkeit, sich zu befreien. Für interessierte Kunden hatte sie ausreichend Bilder auf Lager und sie würde irgendwann wieder den Pinsel nehmen, doch aktuell wollten ihre Hände modellieren.
Im vergangenen Sommer waren sie in Duisburg im Lehmbruck-Museum gewesen, und gerade der »Sitzende Jüngling« animierte sie, sich der klassischen Moderne zuzuwenden. Über Monate hatte sie sich der Technik angenähert und einfache Formen erstellt, die nur einer ästhetischen Proportion folgten, aber im Moore’schen Sinne die
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