Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
aus, was seiner Vermutung nach die Tiere vor Angriffen von Greifvögeln schützen sollte.
Lichthaus ließ sich gerne ablenken. Er hatte nach Claudia noch mit Busse telefoniert. Der Psychologe wusste um seine Traumata und war ruhig geblieben, hatte ihm erklärt, dass er exakt so reagiert hatte, wie jeder andere in dieser Situation auch, hielt ihn also für völlig normal. Es war erstaunlich, aber er spürte, wie der Druck rasch nachließ und das Chaos in seinem Kopf unter Kontrolle kam. Das Eis trug und seine Ängste schrumpften auf einen kümmerlichen Rest zusammen. Wieder einmal hasste er Müller ein kleines Stück mehr.
Von der Straße her ertönte Motorengeräusch und nach wenigen Sekunden bog ein uralter goldfarbener Honda Civic auf den Feldweg ab, neben dem der Hühnerstall stand. Ein noch älterer Kauz mit dichtem weißen Bart und Filzhut quälte sich keuchend hinter dem Lenkrad hervor und zog sich Gummistiefel über die verbeulten Cordhosen. Während er große Eimer mit Körnern aus dem Kofferraum wuchtete, begutachtete er Lichthaus von Kopf bis Fuß.
»Wie ein Hühnerdieb sehen Sie nicht aus«, grummelte er mit sonorer Stimme. »Doch zum Wandern taugen Ihre Schuhe kaum etwas«, ein Grinsen brachte den Bart in Bewegung, »auch wenn Sie es versucht haben.«
Lichthaus schaute an sich hinab und sah seine ehemals schwarzen Sneaker, auf denen der alte Dreck vom Acker bei Hupperath von einer neuen Schicht überlagert wurde.
Ein schmales Lächeln erreichte seinen Mund. »Zweimal richtig.«
»Reporter?«
»Sehe ich so aus?«
»Keine Ahnung. Drüben auf dem Hof scheint ja einiges passiert zu sein.«
»Was reden die Leute denn so?«
»Doch Reporter?«
»Nein«, Lichthaus zog seinen Dienstausweis hervor, »Polizei.«
»Na also, ein Schnüffler. Nun, in der Metzgerei wird getuschelt, der junge Görgen aus Koblenz soll seinen Alten und jetzt auch noch einen Polizisten erschossen haben?« Er schaute fragend.
Lichthaus schüttelte den Kopf, die Buschtrommeln waren schnell. »Dazu darf ich nichts sagen, bis der Vorgang restlos aufgeklärt ist. Was machen Sie hier draußen?«
»Vierhundert-Euro-Job. Ich schaue morgens und abends nach den Hühnern, füttere sie und jage die Bagage rein. Heute bin ich früh dran.«
»Neugier?«
»Ja, das wird es wohl sein. Aber die rund achthundert Viecher halten einen auf Trab.«
Während der Alte den Stall und dessen Vorzüge pries, erlahmte Lichthaus’ Interesse, und er hörte nur mit halbem Ohr zu. Allein aus Höflichkeit stellte er seine Fragen. »Lohnt sich das?«
»Klar, an guten Tagen haben wir fast sechshundert Eier.«
»Das ist nicht wenig. Hat Görgen sonst noch Hühner?«
»Nein. Wenn die Wiese von den Tieren ordentlich zertrampelt worden ist, ziehen wir das Ding mit dem Traktor ein paar Meter weiter. Der alte Standort kann sich regenerieren und wird nicht allzu stark mit dem Hühnerkot belastet. Er bleibt dann im Gleichgewicht.«
»Kennen Sie sich da aus?«
»Ich bin fast siebenunddreißig Jahre lang Förster gewesen«, der Mann richtete sich stolz auf.
»So viele Jahre im Berufsleben werde ich wohl nicht schaffen.« Er grinste. »Ist Roland ein guter Boss?«
Diesmal zögerte sein Gegenüber mit der Antwort und griff nach dem Eimer mit den Körnern. »Ja, eigentlich schon.«
»Und uneigentlich?«
»Auch. Er redet mir nicht rein und zahlt pünktlich. Mit den anderen Mitarbeitern soll das nicht so spannungsfrei ablaufen. Ich hatte hauptsächlich mit Horst zu tun.«
»Haben Sie den alten Görgen gut gekannt?«
»Es geht so. Vom Kindergarten bis zum Abitur waren wir zusammen in einer Klasse, ohne wirklich befreundet zu sein.«
»Wieso?«
»Horst wollte immer herausstechen. Ein Prahler. Hat mit seinen Freundinnen angegeben, seinem tollen Moped und so weiter. Das ist nicht mein Ding. Ich habe Abstand gehalten.« Er schaute ernst aus einem Gesicht, in das ein Leben an der frischen Luft tiefe Falten gegraben hatte, die aber auch zeigten, dass er gerne lachte. »Als Student ist er in Frankfurt der große Zampano gewesen, hat Reden geschwungen und Ihre Kollegen verdroschen. Anfangs habe ich nicht verstanden, warum er mit seiner hübschen Stadtfrau ausgerechnet hierher zurück ist, doch dann ist mir klar geworden, dass er nichts auf die Reihe gebracht hatte. Studium abgebrochen ohne die Cleverness in der Politik eine richtige Nummer zu werden. Wissen Sie, so ein Absturz, wie der eine Apofritze, der da in Berlin den Fahrradkurier macht.«
»Hatte er sich
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