Baustelle Demokratie
heute – häufig von denselben Akteuren – wortreich eingefordert wird, scheint kaum in der Lage zu sein, die Bürgergesellschaft und ihre Akteure tatsächlich als eine gegenüber der Politik gleichberechtigte Handlungssphäre auch nur wahrzunehmen. Das häufig zu beobachtende starre Festhalten an einmal getroffenen Entscheidungen spricht nicht dafür, dass die gesellschaftliche Lebenswelt mitsamt dem Engagement in ihrem Eigensinn respektiert wird. Im Zweifel werden ökonomisch motivierte Sachentscheidungen zu politischen Sachzwängen erklärt, die dann administrativ vollstreckt werden. Für diese durch administratives Handeln sich stillschweigend vollziehende Aushöhlung der demokratischen Idee lassen sich viele Beispiele anführen – von den durch Kommissionen (Hartz, Rürup usw.) zum »Sachzwang« erklärten Sozialstaatsreformen nach marktliberalen Vorgaben bis zur Art und Weise, wie nationale Parlamente zur »Absegnung« von Gipfelbeschlüssen auf EU-Ebene genötigt werden. Der Gedanke einer Beteiligung der Bürgergesellschaft und ihrer Akteure auf dem Weg zur Entscheidungsfindung kommt hier nicht einmal ansatzweise vor.
Eine Wirtschaft , die nur mühsam lernt, dass sie außer Gewinnmaximierung und der Entrichtung von Steuern und Abgaben auch eine weitergehende gesellschaftliche Verantwortung hat, muss der Gesellschaft erst noch beweisen, dass sie zu ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit tatsächlich in der Lage ist. Derzeit dominieren – trotz aller zarten Anfänge – im Zweifelsfall nach wie vor die Argumente für Standort und Wachstum. Dass diese stets wortreich mit dem Arbeitsplatzargument verbunden werden, macht die Sache nicht besser. Und so vagabundiert das entfesselte (Finanz-)Kapital unserer Tage tatsächlich – wie schon vor 150 Jahren von Karl Marx beschrieben – rastlos um den Globus, immer auf der Suche nach der Steigerung der Profitrate (vgl. Vogl 2010). Dabei kann es nicht verwundern, dass unsere gesellschaftliche Lebenswelt in dieser Rechnung nicht vorkommt. Noch sind die Impulse einer aufgeklärten Bürgergesellschaft zu organisierter Gegenwehr schwach. Bei einer Fortschreibung der aktuellen Kräfteverhältnisse wird die Kolonisierung der Lebenswelt durch ökonomische Zwänge ungehemmt weiterlaufen. Ob die zahlreichen bürgerschaftlichen Initiativen für ein anderes Leben und einen anderen Konsum (Verbraucherschutz, Konsumboykotte, Kampf für Entschleunigung und kreative Freiräume, gegen die faktische Herrschaft »der Märkte« usw.) langfristig das Primat der Bürgergesellschaft (und damit auch das der Politik) werden durchsetzen können, lässt sich heute nur schwer sagen. Das hängt unter anderem mit der Fähigkeit der Politik zusammen, ihrerseits der vollständigen Ökonomisierung der Verhältnisse Einhalt zu gebieten.
Fest steht: Ohne einen durchgreifenden Wandel wird es keinen Weg der Fortsetzung von Aufklärung und gesellschaftlichem Fortschritt geben. Es ist liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass sich autoritäres Denken und »gelenkte Demokratie« als Modell für das 21. Jahrhundert empfehlen. Dazu muss man nicht nach China oder Russland blicken. Auch das Demokratiedefizit in der Europäischen Union, in der ein nach wie vor schwaches Europaparlament einem Dickicht aus administrativen Verfügungen und »intergouvernementalen« Beschlüssen häufig hilflos gegenübersteht, stimmt skeptisch. Sollte sich jedoch – und dafür sind letztlich alle an sozialer Demokratie interessierten Menschen zuständig! – die bürgerschaftliche Perspektive als Paradigma durchsetzen, wäre damit nichts weniger als eine Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse verbunden. Denn dann würden sich die Gewichte verlagern: Staat und Wirtschaft müssten sich nach den Erfordernissen der gesellschaftlichen Lebenswelt ausrichten – nicht umgekehrt, wie es bisher der Fall ist. Und dies würde endlich der Grundidee von Demokratie entsprechen, in der es gilt, Herrschaft (von Menschen über andere Menschen) mittels demokratischer Aushandlungsprozesse in (zeitlich und räumlich begrenzte) Machtverhältnisse zu verwandeln. »Von der Herrschaft über Menschen zur demokratisch eingehegten Macht über Sachverhalte«, hieße die passende Losung für eine demokratische Erneuerung, die auch vor der ernsthaften Diskussion über Neuanläufe zu einer Wirtschaftsdemokratie nicht Halt machen würde.
Bevor diese Gedanken zu Ende geführt werden können, ist – nach der Skizze der
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