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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serge Embacher
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Entwicklung noch ganz am Anfang steht – eine immer wichtigere Rolle. Es zeichnet sich ab, dass sich mit der zunehmenden Verbreitung von Social Media für die auf Verständigung, Machtteilung und Dezentralität orientierte Bürgergesellschaft ein vielfältig nutzbarer Kommunikationsraum entfaltet.
    Das Interessante an diesem Kommunikationsraum ist, dass er strukturelle Analogien zu den Erfordernissen politischer Partizipation aufweist: Gelingende demokratische Aushandlungsprozesse sind auf bestimmte strukturelle Merkmale – Offenheit, Transparenz und Resonanz – angewiesen, die genau den Eigenschaften von Social Media entsprechen. Daraus folgt zwar keine Gesetzmäßigkeit. Dem Fehlschluss, dass eine neue mediale Situation »automatisch« für eine bessere Demokratie sorgt, darf man nicht verfallen. Doch ist leicht einzusehen, wie die dynamische Entwicklung der Bürgergesellschaft und des bürgerschaftlichen Engagements von der verstärkten Nutzung von Social Media profitieren könnte. Wenn im bürgerschaftlichen Engagement – und dafür spricht vieles – der Zug in Richtung Partizipation und Selbstbestimmtheit geht, dann bieten Social Media dafür die geeigneten Kommunikationsbedingungen.
Offenheit bedeutet vor allem, dass die Interaktion im Social Web durch nichthierarchische, dezentrale und auf Beteiligung ausgerichtete Strukturen der Selbstorganisation geprägt ist: kostenfreier Zugang zu Informationen, Offenheit für Feedback und Kommentar, für Ergänzung, Veränderung und Weiterverbreitung von Themen und Inhalten, Offenheit für Neuordnung des Begriffs des geistigen Eigentums, Offenheit für die jeweils eigene Produktion von Beiträgen wie Texte und Videos (Macnamara 2010, 25). Offenheit im Social Web bedeutet, dass Informationen und Meinungen grundsätzlich von jedem ohne redaktionelle oder journalistische Filter veröffentlicht werden können.
Darauf baut das Prinzip der Transparenz auf. Im Vergleich zu den Massenmedien Fernsehen, Hörfunk und Zeitungen ermöglicht das Social Web eine größere Pluralität von Informationen. Die Transparenz, die mit der Liberalisierung und Demokratisierung von Information ermöglicht und erzwungen wird, sowie die Eigenschaft des Webs, Informationen nicht »zu vergessen«, erlauben zudem Nachverfolgbarkeit: Ohne aufwendige Recherchen kann jeder Einzelne Prozesse und Zusammenhänge rückblickend betrachten und dadurch Einsichten gewinnen, die früher nicht möglich waren. Gesellschaftliche Vorgänge können so besser verstanden und nachvollzogen werden. Menschen können dadurch bestärkt werden, sich an gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen und sich zu engagieren.
Das Prinzip der Resonanz schließlich beschreibt das Phänomen der Selbstverstärkung von Themen im Social Web durch die aktive Verbreitung über die Netzwerke, wodurch das gesellschaftspolitische »Agenda-Setting« beeinflusst werden kann, wie die Debatten über Datenschutz, Copyright und Guttenberg eindrucksvoll gezeigt haben.
    Die Folgen dieser durch technischen Fortschritt ermöglichten Entwicklung sind in den neuen Formen des gesellschaftlichen und politischen Engagements bereits deutlich sichtbar. Die Erfolge der Piratenpartei in Berlin und anderswo zeigen, dass die Revolutionierung der Kommunikationsverhältnisse deutliche Verschiebungen mit sich bringt. Die Bedingungen für gesellschaftliches Engagement und Freiwilligentätigkeit verändern sich, was man am vom Verein Liquid Democracy e.V. und den Piraten entwickelten Konzept »Liquid Democracy« sehr schön illustrieren kann. Hier bahnt sich eine neue politische Kultur der Verständigung an, in der die Kombination von repräsentativer Demokratie und gesellschaftlichem Engagement künftig viel besser gelingen könnte als bislang.
    Die Idee von »Liquid Democracy« ist der mittlerweile bekannten Krisendiagnose entsprungen: Während das Interesse an Politik und politischen Fragen ungebrochen ist, erodiert die Zustimmung zur offiziellen Politik der Parteien in Parlamenten und Regierungen. Die Wahlbeteiligung in Bund, Ländern und Kommunen sinkt – mit Ausnahmen – seit vielen Jahren beständig. Das öffentliche Ansehen von Parteipolitik ist auf einem historischen Tiefstand. Die Demokratie in Deutschland droht immer stärker in eine Legitimationskrise zu geraten. Das Thema »Politikfrust« und »Demokratiedistanz« ist längst mit Händen greifbar. Die politischen Parteien, die laut Grundgesetz (Artikel 21) den Auftrag haben, an der politischen

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