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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serge Embacher
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gesellschaftliche Fragen entstehen können. Damit erfüllt sie eine unabdingbare Sensor- und Korrektivfunktion für die von Geld und Macht gesteuerten Sphären der Ökonomie und der staatlichen Verwaltung. Während Wirtschaft und Staat von automatisierten oder zumindest von verselbstständigten Verfahren bestimmt werden, kommen die Impulse für Erneuerung, Vitalisierung und alternative Wege aus der Bürgergesellschaft in der Vielfalt ihrer Stimmen.
    Wie lässt sich nun die Rede vom demokratischen Aushandlungsort veranschaulichen? Dieser Ort ist ein Ort im übertragenen Sinn. Er wird uns immer dann gegenwärtig, wenn die etablierten Strukturen in Staat und Wirtschaft Probleme erzeugen, die sie selbst nicht zu lösen vermögen. Wenn die Mechanismen des Wirtschaftssystems sich verselbstständigen und die Lebenswelt von Menschen bedrohen, darf man Besserung nicht aus dem System selbst erwarten. Die Broker und Investmentbanker an der Börse haben – selbst wenn sie wollten – nicht die Option, Profite nicht zu maximieren. Ob eine Geldanlage unter ökologischen oder moralischen Aspekten vertretbar ist, lässt sich im computergesteuerten Handel, in dem heute in Sekundenbruchteilen ungeheure Summen verschoben werden, von den Akteuren weder beurteilen noch beeinflussen. Da 1 + 1 = 2 ist, müssen sie blind sein für ethisch-moralische Fragen. Dass Banken, Spekulanten und Anleger heute ganze Staaten in die Knie zwingen können, ist rechtlichen Regelungen und systemischen Bedingungen geschuldet, die nicht das ökonomische System selbst geschaffen hat, sondern politisch gewollt sind. Dieses System funktioniert per se moralfrei, sein Code ist Geld und nicht Fairness oder Gerechtigkeit. Daher operiert es, wenn es ungezügelt bleibt, auf Kosten aller anderen Bereiche der Gesellschaft.
    Nun müsste man einwenden, es sollte doch Aufgabe staatlicher Politik sein, ökonomisches Handeln zu regulieren, um dem unersättlichen Streben nach Profit Grenzen zu setzen. Schließlich ist Gier eine hässliche, aber leider real gegebene Eigenschaft des Menschen, der nur mittels gesetzlicher Regelungen Einhalt geboten werden kann. Doch hat es die verfasste Politik in den letzten 25 Jahren nicht vermocht, das Gewinnstreben in vernünftige Bahnen zu lenken. Im Gegenteil: Politik ist in dieser Zeit ihrerseits intellektuelles »Opfer« eines ökonomischen Fehlschlusses geworden. Sie hat unter dem Einfluss neoliberaler Argumente ihr Primat über die Wirtschaft aufgegeben und darauf gesetzt, dass alles, was der wirtschaftlichen Entwicklung dient, auch für die Gesellschaft im Ganzen gut ist. »Sozial ist, was Arbeit schafft«, lautete der Slogan. So sind unter dem Druck des neoliberalen Arguments zahlreiche Regulierungen gestrichen und die Bedingungen für Gewinnmaximierung erheblich verbessert worden. Dass heute einem astronomischen Reichtum auf der einen eine wachsende Armut auf der anderen Seite entgegensteht, ist eine Folge politischer Entscheidungen im Dienste betriebswirtschaftlichen Denkens.
    Politik ist auf diese Weise in vielerlei Hinsicht zum Spielball ökonomischer Interessen geworden. Die Wirtschaft als der Motor für gesellschaftliche Entwicklung, der Arbeitslose als antriebsloser Sofasitzer, dem man das morgendliche Aufstehen beibringen muss, das Ideal vom promovierten Mittzwanziger, der drei Sprachen spricht, perfekte Umgangsformen und interkulturelle Kompetenzen hat, die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen (Verkehrsbetriebe, Energieversorgung, Telekommunikation usw.) – diese und viele andere Denkmuster haben sich in das politische Repertoire eingeschrieben. Liberalistische Wirtschaftspolitik, Aktivierende Arbeitsmarktpolitik, »moderne« Bildungspolitik und auf Privatbesitz ausgerichtete Infrastrukturpolitik zeigen, wie stark und selbstverständlich sich betriebswirtschaftliche Imperative im Politischen eingenistet haben und dort die Suche nach gesellschaftlichen Alternativen systemisch blockieren. Liberalistische Wirtschaftspolitik nützt der Wirtschaft, aber nicht der Gesellschaft; Aktivierende Arbeitsmarktpolitik nützt dem Staatshaushalt und dem schönen Schein der Arbeitslosenstatistik, aber nicht den Arbeitslosen; »moderne« Bildungspolitik nützt einer rein auf Effektivität ausgerichteten Idee von Ausbildung, aber nicht dem jungen Menschen und seinem Bedürfnis nach ganzheitlicher Bildung und Orientierungskompetenz; eine auf Privatbesitz ausgerichtete Infrastrukturpolitik nützt privaten Kapitalinteressen,

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